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José Vouillamoz – Der Biologie, der die Wahrheit im Wein sucht

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Text: Sébastien M. Ladermann Foto: Sedrik Nemeth
In vino veritas: Ein entdeckungsfreudiger und wahrheitsbegeisterter Wissenschaftler hat es sich zum Ziel gesetzt, die DNA von Rebsorten zu entschlüsseln, um mehr über deren Ursprünge zu erfahren. Ganz nebenbei hat er dabei auch verschiedene seit alters her überlieferte vermeintliche Wahrheiten über den Haufen geworfen.

Wie bei vielen anderen fest in bestimmten Regionen verwurzelten Tätigkeiten ranken sich um den Weinbau seit langem sorgsam gehütete, in Stein gemeisselte Legenden, denen über die Generationen hinweg ein bestimmter – an das sakrale grenzende – Wahrheitswert verliehen wurde. Wer es wagte, daran zu rütteln, riskierte, übel beschimpft und in die Wüste geschickt zu werden.

José Vouillamoz, obwohl erst Ende vierzig, kann sich an diese gar nicht weit zurückliegende Zeit noch gut erinnern. Wenn man den Wissenschaftler mit dem spitzbübischen Zwinkern dann kennenlernt, scheint es schwierig, ihm unmotivierte umstürzlerische Machenschaften zu unterstellen. Und doch ist es ihm auch gegen teils erbitterten Widerstand gelungen, die Wahrheit über insbesondere die Herkunft der Walliser Rebsorten ans Licht zu bringen.

Geboren wurde er in Saillon, und obwohl seine Familie keine Reben besass, begann er sich als Jugendlicher für den Weinbau zu interessieren und empfahl seinem Vater die Erzeugnisse verschiedener Winzer. „Mitte der achtziger Jahre galt es im Wallis als selbstverständlich, dass unser Wein der beste der Welt sei. Ohne mich gross auszukennen, schien es mir, dass es da Qualitätsunterschiede gab. Manche Weine waren ganz einfach besser als andere. Die Sache mit dem „besten Wein der Welt“ war mir folglich ein wenig suspekt. Um dies besser zu verstehen, musste ich mich anderweitig umsehen“, gibt er heute zu.

Einige Jahre später beim Biologiestudium an der Universität Lausanne investierte er sein mageres Studentenbudget am liebsten im Weinregal der Supermärkte. Im Führer des bekannten Experten Hugh Johnson suchte er nach ausländischen Bezugnahmen auf seine Heimat. „Zugegebenermassen verstand ich nur Bahnhof. Alles schien mir wahnsinnig kompliziert! Ich konzentrierte mich also auf Weine, die mit 2-3 Sternen ausgezeichnet waren und nicht mehr als zehn Franken kosteten.“ Je mehr Wein man degustiert, desto mehr entwickelt sich der Gaumen, desto mehr versteht man davon und desto mehr werden vermeintliche Wahrheiten zu Luftgespinsten. Was die Qualität betrifft, so hört die Weltkarte des Weins nicht hinter den Grenzen des eigenen Heimatkantons auf.

Mit seinem Studiums hat José Vouillamoz eigentlich zwei Ausbildungen absolviert: eine akademische was die Biologie betrifft und eine experimentelle in Bezug auf den Wein. Es entsteht die Idee, seine theoretischen Kenntnisse mit seiner wachsenden Leidenschaft zu vereinen und bei Carole Meredith in Davis, Kalifornien, ein Post-Doktorat zu machen. Die Professorin ist für ihre Entschlüsselung der Ahnenreihe des Cabernet Sauvignon bekannt und eine Pionierin der DNA-Analyse. Was die Walliser Rebsorten betrifft, betrat José Vouillamoz damit absolutes Neuland, weshalb ihm der Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ein Stipendium zusprach.

So kam es, dass mit Anbruch des neuen Jahrtausends eine lange Geschichte ihren Anfang nahm, in deren Verlauf der junge Wissenschaftler mit dem grossen Interesse an den Reben die Geheimnisse ihres Ursprungs lüftete. Die Genanalysen des Erbmaterials der Rebsorten, die im Wallis heimisch sind – oder von denen dies bis dahin stets angenommen wurde – führten zu Ergebnissen, die Überraschung, Unverständnis und bei manchen sogar Verärgerung hervorriefen. José Vouillamoz wurde durch den einjährigen Aufenthalt in den USA in seinem Interesse an diesem weitläufigen, spannenden und zum grossen Teil unerforschten Gebiet weiter bestärkt.

Es erwacht in ihm der unwiderstehliche Ruf, das Welterbe der Rebsortenkunde in seiner Gesamtheit zu erforschen. Dies ist eine Aufgabe von ungeheuerlichem Ausmass, die sich als zu gross für den inzwischen in die Heimat zurückgekehrten Wissenschaftler erweist. „Stellen Sie sich vor, dass all dies auf eine wilde Pflanzenart, Vitis vinifera, zurückgeht, die mehrere Millionen Jahre alt ist und noch heute von Portugal bis Tadschikistan überlebt. Die Domestizierung durch den Menschen erfolgte relativ spät, nämlich ungefähr 8000 Jahre v.u.Z. und zwar höchstwahrscheinlich im Südosten von Anatolien. Wenn man sich vorstellt, dass jeder einzelne Samen das genetische Potenzial für eine neue Sorte hat, wird das Forschungsfeld über einen so langen Zeitraum hinweg unendlich gross“, erläutert der Experte.

Insbesondere durch in Kalifornien geknüpfte Kontakte und dank einer Kombination von Umständen wurde das Wahnsinnsprojekt, alle Rebsorten in der Welt zu beschreiben, aus denen Wein gemacht und verkauft wird, möglich. Resultat der vierjährigen intensiven Recherchen ist 2012 das Buch Wine Grapes. Die Verfasser, Vouillamoz, Robinson und Harding, behandeln darin nicht weniger als 1’368 Rebsorten und machen daraus gleich vom Erscheinungsdatum an ein unangefochtenes Referenzwerk.

Zwar richtet es sich an Fachleute, aber es offenbart allen die Bedeutung des kulturellen Erbes der Rebsortenkunde, vertreten durch die „vergessenen“ Rebsorten, insbesondere in der Schweiz. Diese sind krankheitsanfälliger, weniger ertragreich und enthalten oft weniger Süsse, alles Faktoren, die zu ihrem Stiefmütterchendasein geführt haben. Mit dem Auftreten der Reblaus sind einige von ihnen sogar ganz von der Bildfläche verschwunden. „Nur durch ernsthafte wissenschaftliche Arbeit und mit handfesten Beweisen konnten wir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erlangen. Die ganze Fülle von Rebsorten war noch vorhanden und wartete darauf, beschrieben zu werden, so dass hoffentlich – wenn auch in bescheidenem Umfang – die Standardisierung der angebauten Sorten möglich gemacht wird. Das Buch hat zu einem Mentalitätswandel geführt und sogar dazu beigetragen, dass alte Rebsorten wieder angebaut wurden“, sagt er nicht ohne Stolz.

Als Kind wollte er Astronom werden, und heute heissen seine Sterne Durize, Cornalin, Lafnetscha oder Bondola, seine liebsten Schweizer Rebsorten. Sie bringen die Augen von vielen Winzern und Weinbauern zum Leuchten, die daran interessiert sind, oftmals einzigartige Produkte zu schaffen, die von vielen Liebhabern für ihre Authentizität und ihren Geschmack geschätzt werden.