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Mehr Wettbewerb im Schweizer Weinhandel

  • Dienstag 27 September 2016
Quelle /
Text: Sergio Aiolfi
Schweizer Weinhändler stehen mehr denn je im Wettbewerb mit Grossverteilern, namentlich Coop. Um sich zu differenzieren, setzen sie auf die Vermittlung von «Emotionen».

Eine gesättigte Nachfrage, stagnierende Volumen, sinkende Preise – die Schweizer Weinhändler bewegen sich in einem Marktumfeld, das kaum unattraktiver sein könnte. Kleinanbieter lassen sich dadurch allerdings nicht beirren. Die Zahl der selbständigen Händler ist mit über 3500 nach wie vor sehr hoch, und seit Jahren wartet man vergeblich auf eine Konsolidierung. Die Händler stehen dabei nicht nur im Wettbewerb zueinander, sondern spüren mehr denn je auch die Konkurrenz vonseiten der Grossverteiler und Discounter, die zusammen knapp die Hälfte der Importe auf sich vereinen. Coop beispielsweise demonstriert mit der Plattform Mondovino, dass sich auch ein Massenanbieter in der Welt der qualitativ hochstehenden Weine bewegen kann (vgl. Artikel unten). Angesichts eines solchen Gedränges auf der Angebotsseite sind Alleinstellungsmerkmale für die Marktteilnehmer das A und O.

 

Preistreibende Nachfrage

Aus Sicht spezialisierter Händler ist Wein kein profanes Konsumgut. Jan Martel, Geschäftsführer der Weinhandlung Martel in St. Gallen, spricht emphatisch von der «Kultur des Trinkens» oder von «Lebensfreude», von Weinen mit «individuellem Charakter», und er selber sieht sich nicht einfach als Weinhändler, sondern als «Vermittler grosser Weinkultur». Sein Unternehmen ist in verschiedenen Segmenten tätig und führt beispielsweise Exklusivitäten aus dem Burgund im Sortiment. Hier ist der Bedarf alles andere als gedeckt. Das knappe Angebot trifft vielfach auf eine grosse Nachfrage von Weinliebhabern, für die der Preis eine untergeordnete Rolle spielt.

Dem Vordringen eines mächtigen Anbieters wie Coop in die Welt der Spezialitäten kann der St. Galler Weinhändler durchaus auch Positives abgewinnen. Seiner Meinung nach leistet der Grossverteiler mit seinem Programm, das besonders auf Produkte mit vorteilhaftem Preis-Leistungs-Verhältnis ausgerichtet ist, wertvolle «Rekrutierungsarbeit» vorab im jüngeren Publikum. Mondovino fördert das Fachwissen, trägt zur Popularisierung des Themas Wein bei, und die Hoffnung besteht, dass die Diffusion des Weinwissens letztlich der gesamten Branche zugutekommt.

Gleichwohl musste man sich auch bei Martel Gedanken darüber machen, wie das Unternehmen angesichts dieser wachsenden Konkurrenz positioniert werden soll und welche Leistungen man bieten muss, um sich als mittelgrosser Händler vom mächtigen Grossverteiler zu unterscheiden.

 

Das Rebberg-Erlebnis

Das Schlüsselwort heisst offenkundig «Emotionen». Nicht nur im Weingeschäft, sondern im Marketing ganz allgemein hat sich längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass Käufer nicht einfach nutzenmaximierende Wesen sind; sie lassen sich auch von Gefühlen leiten. Und Wein, so weiss man mittlerweile, eignet sich (vorab, wenn es um edlere Sorten geht) ganz besonders als Objekt zur Vermittlung von Gefühlen. Jan Martel vertraut ausser auf die Emotionen auch auf den Eindruck von Unmittelbarkeit. «Unsere Leute besuchen die Winzer, degustieren junge Weine, atmen Kellerluft, gehen in die Rebberge und geben das gewonnene Wissen schliesslich an die Konsumenten weiter.»

Zwar organisiert auch Coop Mondovino Messen, die der Förderung des «Erlebnisses» und der sinnlichen Seite des Weins dienen. Aber mit dem authentischen Erfahrungsschatz, den Verkäufer dank Rebberg-Besuchen bieten, können diese Veranstaltungen nur schwer konkurrieren. Bei Martel werden die Winzer auch eingeladen, «um die Emotionen aus den Rebbergen in die Schweiz zu bringen». Auch hier nimmt der Weinhändler die Rolle des Vermittlers ein, der sich darauf beschränkt, Produzenten und Konsumenten zusammenzuführen.

Mondovino verfügt dank elektronisch gesammelten Daten über detaillierte Kundenkenntnisse, Martel pflegt dagegen den engen Kundenkontakt. Welches der beiden Modelle erfolgreicher ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; sowohl Grossverteiler wie Händler sprechen lieber über Wein als über die Entwicklung der Umsätze.

 

«Die Marke bin ich»

Ein Modell eigenen Zuschnitts hat Philipp Schwander entwickelt, ein Händler, der seinen Kunden in regelmässigen Abständen eine von ihm selbst verfasste Weinpost zukommen lässt. Er beschränkt sich bewusst auf ein kleines, «rollendes» Sortiment an Weinen, die er bei ihm vertrauten Produzenten in verschiedenen Regionen auswählt und einkauft und direkt an die Kunden weiterverkauft. Dank dem schnellen Drehen lässt sich das Lager auf 5% bis 10% des Absatzes begrenzen (bei anderen Händlern beträgt die Quote teilweise 100% und mehr). Ein grosses Einkaufsvolumen pro Weinsorte ermöglicht eine Beschaffung zu günstigen Preisen.

Ein weiteres Charakteristikum des Modells ist, dass es nicht grosse Marken umfasst. Schwander, ein Master of Wine, ist darauf spezialisiert, Weine ausfindig zu machen, die gut, aber noch unbekannt sind. «Die Marke bin ich», ist sein Credo. Er agiert gleichsam als Späher für seine Kundschaft und bürgt mit seinem Namen für Qualität. Für Konsumenten, die vom Kauf bekannter Marken abweichen und Neues ausprobieren wollen, verringert Schwander als Experte das Risiko eines Fehleinkaufs. Das Modell hat den Vorteil, nur schwer kopierbar zu sein; da es aber gleichzeitig stark auf die Person Schwanders zugeschnitten und von ihr abhängig ist, birgt es auch erhebliche Risiken.

Dem Online-Geschäft messen die beiden Händler unterschiedliches Gewicht zu. Während bei Schwander die Internet-Präsenz noch verbesserungswürdig ist, nimmt Martel viele Bestellungen online auf; der Kanal hat auch den grössten Neukunden-Zuwachs. Die Nutzung der elektronischen Mittel bedeutet jedoch nicht, dass man auf das stationäre Geschäft verzichtet. Ende Oktober eröffnet Martel ein Ladengeschäft in Zürich, um auf diese Weise näher an die wachsende Kundschaft in der Grossstadt zu gelangen.