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Klasse statt Masse – nur so können Schweizer Winzer überleben

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Text: Christian Kolbe und Fotos: Thomas Meier
Teure Tropfen, hartes Geschäft. Nur mit Qualitätsweinen haben Schweizer Winzer eine Chance gegen die ausländische Konkurrenz. Schweizer Trauben gehören zu den teuersten der Welt.

«Gehen wir in die Reben!», begrüsst uns Winzer Tom Litwan (39), als wir aus dem Nebel des Mittellands bei ihm in Schinznach-Dorf eintreffen. Beim Rebberg unterhalb des Schlosses Kasteln verziehen sich die letzten Nebelfetzen, eine milde Herbstsonne wärmt die kleine Parzelle. Auf den ersten Blick ist klar, das ist eine ideale Weinlage: Der Südhang ist terrassiert, die hohen Naturstein-mauern sind der ideale Wärmespeicher, um besonders süsse Trauben reifen zu lassen. Klar wird aber auch: Hier ist an den Einsatz von Maschinen nicht zu denken, dieser Weinberg kann nur von Hand bewirtschaftet werden. Handarbeit in der Schweiz – das geht ins Geld, steigert aber auch den Wert des Weins: «Um eine Topqualität zu erreichen, müssen die Trauben von Hand geerntet werden. Bei der maschinellen Ernte kann immer mal eine faule oder unreife Beere in den Bottich gelangen – das mindert die Qualität», erklärt Litwan.

Die Produktionskosten pro Flasche Wein liegen bei rund 30 Franken, der Verkaufspreis im Laden etwas über 40 Franken – die Marge müssen sich der Winzer und der Händler aufteilen. Rund 10 000 Flaschen produziert Litwan pro Jahr: «Ich kann von der Weinproduktion leben, reich werde ich davon aber nicht.»

«Wer mit Weinbau Geld verdienen will, der braucht viel Geduld»

Klein, aber fein – das ist die Devise von Tom Litwan. Gross, aber genauso fein, könnte jene von Diego Mathier (47) lauten. Der Walliser produziert in Salgesch im Oberwallis rund eine Million Flaschen Schweizer Wein pro Jahr und verkauft diese zum einen guten Teil an private Kunden. «Wer mit Weinbau Geld verdienen will, der braucht viel Geduld und muss hart arbeiten. Wir haben unseren Familienbetrieb über Generationen aufgebaut. Das schätzen die Kunden, die zum Teil ebenfalls über Generationen bei uns einkaufen», so Mathier.

Während der Aargauer Litwan dank der bewussten Verknappung seines Angebots die Jahresproduktion schon so gut wie ausverkauft hat, muss der Walliser Mathier um die immer wählerischen Kunden buhlen: «Das Einkaufsverhalten der Schweizer lässt sich so zu-sammenfassen: Je städtischer, desto flexibler – je ländlicher, desto treuer.» 
Wein zu keltern, geht zunächst mal ins Geld. Eine Weinpresse zum Beispiel kostet so viel wie ein Kleinwagen. Wirklich gebraucht wird sie aber nur in den zwei bis drei Wochen nach der Traubenlese. Auch die Preise für Land oder Löhne liegen über dem Niveau ausländischer Weinbauregionen.

Die Hochpreisinsel Schweiz macht Trauben schweizerischer Provenienz zu den zweitteuersten der Welt

Weinhändler Raymond Silvani (50), Geschäftsführer der Vinothek Brancaia in Zürich, kennt die Sorgen und Nöte der Schweizer Produzenten: «Ein pickelhartes Geschäft. Die Margen sind klein, denn die Kosten in der Schweiz sind im Vergleich mit anderen Ländern viel höher.» Die Hochpreisinsel Schweiz macht Trauben schweizerischer Provenienz zu den zweitteuersten der Welt! Teuerer sind nur noch die Früchte der Reben in der französischen Champagne. Das Erfolgsrezept für Schweizer Wein muss deshalb heissen: Klasse statt Masse. Das beherzigen inzwischen die meisten Schweizer Winzer, setzen heute auf Qualitätsweine, die auch ihren Preis haben dürfen.

Das war nicht immer so, noch bis zu Beginn der 1980er-Jahre war Schweizer Wein eine Massenware, die sich fast von selbst verkaufte. «Die Schweizer Weinbauern waren verwöhnt», sagt Silvani. «Früher war das Geschäft mit der Wein­produktion fast wie eine Gelddruckmaschine.» Heute sei der Konkurrenzkampf um ein Viel­faches härter.

Viele neue Anbieter sind in den letzten Jahrzehnten auf den Markt gekommen, Weine aus Australien oder Südamerika werden ebenso geschätzt wie solche aus Kalifornien oder dem Nachbarland Österreich. Frost, Hagel oder die Kirschessigfliege: Macht die Naturden Winzern einen Strich durchdie Rechnung, wird aus dem Konkurrenz- ein Verdrängungskampf. «Es ist ein harter Kampf», sagt Marc Landolt (55), Weinhändler und -produzent aus Zürich: «Die Schweizer Weinbauern blicken auf drei schlechte Ernten zurück.»

«Die Nachfrage nach lokalen Produkten ist hoch»

Das kann zum Problem werden, denn es gibt eine globale Weinschwemme: Weltweit wird viel mehr Wein produziert als getrunken. Können die Schweizer Produzenten wegen Ernteausfällen nicht liefern, weichen die Kunden auf ausländische Weine aus. Kommt hinzu, dass in der Schweiz der Weinkonsum insgesamt rückläufig ist. Trotzdem will Landolt nicht jammern: «Dem Markt geht es gut. Die Nachfrage nach lokalen Produkten ist hoch. Das gilt auch für den Wein.»

So kann auch ein kleiner Winzer wie Tom Litwan in der Schweiz seine Nische finden. Im Weinkeller in Schinznach sind die Trauben ausgepresst. Der teure Tropfen ruht in den Barrique-Fässern. Für den Winzer beginnt nun die harte Arbeit für den nächsten Jahrgang. Bei Wind und Wetter arbeitet er in den kommenden Monaten in den Weinbergen, schneidet Reben zurück oder bessert Anlagen aus. Damit der Saft in den Rebstöcken auch im nächsten Jahr möglichst perfekt fliessen und so ein guter Wein he­ranwachsen kann.

 

Fotos

Ideale Südlage unterhalb von Schloss Kasteln in Schinznach AG: Hierreifen die Trauben von Tom Litwan. THOMAS MEIER

Der Winzer schnuppert am Wein und überprüft, ob mit dem Jahrgang2017 alles in Ordnung ist. Ein Jahr lagert der Wein in den Barrique-Fässern. THOMAS MEIER

Die Traubenpresse kostet so viel wie ein Kleinwagen – und ist die meiste Zeit ungenutzt. THOMAS MEIER