Frostnächte haben den Jahrgang 2017 fast komplett vernichtet
- Donnerstag 27 April 2017
Der Kälteeinbruch von letzter Woche hat fatale Folgen für den Weinbau: Ein grosser Teil der Rebentriebe ist erfroren. Auch in Küsnacht und Umgebung sind die Schäden immens.
Seit Jahrzehnten hat es in der Region keinen vergleichbaren Spätfrost mehr gegeben wie in der vergangenen Woche. Für die Weinbauern ist der Kälteeinbruch umso schlimmer, weil die Reben dank den warmen Vorfrühlingstagen vor Ostern bereits stark ausgetrieben haben. «Der Schaden ist immens», sagt der Küsnachter Winzer Diederik Michel. In den Nächten auf Donnerstag und Freitag letzte Woche sind die Temperaturen im Rebberg Giesshübel, der mit seiner Hanglange der Bise besonders ausgesetzt ist, auf bis zu minus vier Grad gefallen. Und dies hat den frisch ausgetriebenen Rebstöcken schwer geschadet: «All diese zarten Triebe, die bereits zwei, drei Blätter entfaltet hatten, sind erfroren », berichtet Michel. Dies bedeutet, dass die Ernte 2017 beim Weingut Diederik fast komplett verloren ist.
Kein Räuschling dieses Jahr
Etwas Hoffnung setzt der Pächter des ehemaligen Welti-Weinbergs noch auf das zweite Austreiben der Reben. Doch diese neuen Triebe bilden nur noch wenige Trauben. «Vom Pinot noir wird es vielleicht noch 5 bis 10 Prozent der sonstigen Ernte geben, mehr nicht.» Ganz ausfallen werde aber sicher die Ernte der beliebten «Zürichsee-Traube» Räuschling. Und dies, obwohl Michel und sein Mitarbeiter in der zweiten Frostnacht mit sogenannten Frost-Kerzen versuchten, einige Räuschling- und Pinotnoir- Reben zu wärmen und die jungen Triebe vor dem Erfrieren zu retten. Wie sich nach dem Trocknen der Zweige zeigte, habe auch dies nicht mehr viel geholfen.
Etwas mehr Jungtriebe haben in den Küsnachter Seminar-Reben überlebt. Die von Franz Müller gepflegten Reben auf dem Areal der Kantonsschule sind durch die umliegenden Gebäude etwas geschützt. Müller: «Bei uns sind 50 bis 60 Prozent der Jungtriebe erfroren. Aber abgerechnet wird am Schluss, die Saison ist noch lang und die Natur bleibt unberechenbar.» Von einer «Tragödie für den Weinbau» spricht auch Markus Weber vom Weingut Turmgut in Erlenbach. An seinen Rebstöcken in Erlenbach, Herrliberg, Meilen und im Küsnachter Giesshübel ist ebenfalls ein Grossteil der Triebe erfroren. «Im Turmgut sowie in Küsnacht und Herrliberg fällt 90 bis 100 Prozent der Ernte aus, in Meilen sind es wohl etwa die Hälfte», fasst der Bioweinbauer zusammen.
Ganz Mitteleuropa betroffen
Solch späte Frostnächte sind am Zürichsee besonders ungewöhnlich, weil der See eigentlich als Wärmespeicher fungiert. Die kalte Bise hat aber im Vorfeld schon die warme Luft über dem See weggeweht. Weber, der seit 30 Jahren hier als Weinbauer tätig ist, hat noch nie einen Schaden wie den diesjährigen erlebt. Er wisse von einer vergleichbar kalten Frostnacht Ende April im Jahr 1981. Ein derart grosser Schaden gab es aber auch dann nicht, weil die Trauben noch weniger weit entwickelt waren. Besonders tragisch ist, dass der Schaden nicht nur lokal ist, sondern dass fast ganz Mitteleuropa betroffen ist. Werner George Kuster, Kellermeister bei Welti Weine AG, erzählt: «Es betrifft fast die ganze Schweiz. Einzig am Genfersee hat der Mechanismus des Sees als Wärmespeicher funktioniert.» Aber auch in Norditalien, im Burgund sowie in Deutschland und Österreich hätten die Weinbauern grosse Schäden zu verzeichnen.
Dies hat auch Folgen für die Weinkelterei Welti, die keine eigenen Reben hat, sondern Trauben im Inund Ausland einkauft. Kuster: «Wir werden sicher viel weniger produzieren können, es könnte einen hundertprozentigen Schaden geben.» Heute könne man Mindererträge auch nicht mehr durch höhere Preise kompensieren, da der stark internationale Weinhandel dafür sorgt, dass Kunden Wein aus Übersee kaufen, wenn der europäische teurer ist. «Solidarität wir früher in schlechten Jahren gibt es heute nicht mehr», meint der Kellermeister.
Das komplette Ausmass der Tragödie wird sich aber erst in den kommenden Wochen und Monaten definitiv zeigen. Winzer Michel gibt sich trotz allem kämpferisch: «Wir geben nicht auf. Vorerst fülle ich nun den 2016er Räuschling in Flaschen ab. Und für nächstes Jahr lasse ich mir bestimmt noch etwas einfallen», meint der Küsnachter verschmitzt.