Frischer Wind am Bielersee
- Donnerstag 23 Juli 2015
Eine feine Brise kräuselt den Bielersee und sorgt für angenehme Erfrischung an diesem Morgen. Die Sonne brennt vom Himmel, als ob sie für die vergangenen Regentage, die den Wasserstand des Sees bedrohlich hoch steigen liessen, entschädigen wollte. Gabriel Andrey entkorkt seine vorzüglichen Weine draussen vor der Kellertür. Das Familienweingut, in dem auch Vater Erich, Mutter Katharina und Bruder Silvan mitarbeiten, liegt zwar in Ligerz direkt an der Strasse, doch der Verkehr hält sich in Grenzen. Das beschauliche Winzerdorf wird umfahren. Einzig der Lärm der regelmässig vorbeidonnernden Züge sorgt für periodischen Gesprächsunterbruch.
Weit gereist
Es ist eng am linken Bielerseeufer. Zwischen Wasser und Berg sind Schiene und Strasse, die Häuserzeilen der Winzerdörfer mit ihren Weinkellern und die den steilen Hang hochkletternden Rebberge gezwängt. Auch wenn die durchschnittliche Betriebsgrösse bescheidene drei Hektaren beträgt, kämpfen fast alle Weingüter mit Platzproblemen. Kellermeister Gabriel Andrey, 33, weiss sich zu arrangieren. Auslandpraktika in Neuseeland und Australien haben ihn Gelassenheit gelehrt und offen für Neues gemacht. So pflegt er natürlich immer noch den Chasselas. Die Sorte bringt auf den kalkreichen Böden des Jurasüdfuss einen besonders filigranen, eleganten, mineralisch geprägten Wein hervor. Er passt ideal zu den Eglifilets, die in den Restaurants angeboten werden, auch wenn der Fisch kaum mehr aus dem nahen See stammt, da die Fischer die Nachfrage nicht befriedigen können. Die Fische werden deshalb aus Polen angeliefert.
Den Chasselas-Anbau reduzierten die Andreys in jüngster Vergangenheit massiv. «Betrug er früher 90 Prozent der Ernte, sind es heute noch 32 Prozent», sagt Gabriel Andrey. Stattdessen experimentiert er auch mit roten Sorten wie Cabernet Sauvignon, Syrah und Malbec. Dank der Klimaerwärmung resultieren erfreuliche Weine. Bringt ein meteorologisch schwierigeres Jahr grüne Noten hervor, stört ihn das nicht.
Schnupperlehre
Auch Adrian Klötzli hat den Chasselas auf einen Drittel seiner kleinen Produktion begrenzt. Der zähe Winzer, 38, bewirtschaftet 2,5 Hektaren und erzeugt jährlich rund 20.000 Flaschen. Er tut dies in handwerklicher Manier, ist ein Krampfer mit einem grossen Talent für eigenständige, charaktervolle Weine. Sein Weingut liegt direkt am Twannbach, der in Kaskaden durch die steile Twannschlucht von Magglingen herunterstiebt. Es geht zurück auf das Jahr 1420 und beherbergte einst eine Mühle. Klötzli übernahm den Betrieb 2008 von seinen Eltern. Nach einer Schnupperlehre als Maurer ergriff er den Winzerberuf. Das in der Schnupperlehre erworbene Wissen, kann er noch heute anwenden. Seine steilen Rebterrassen werden durch zahllose Mauern gestützt, deren Instandhaltung enorm arbeitsaufwendig ist.
Klötzli erzeugt klare, präzise, sortentypische Weissweine und doch scheint seine besondere Stärke in der Interpretation des Pinot Noirs zu liegen, der sich wie alle Burgundersorten auf dem kalksteingeprägten Terroir zwischen Tüscherz und La Neuveville prächtig in Szene setzt. Der Wein besitzt eine kalkige Frucht, Frische und Finesse. Kein Wunder, hat Klötzli seinen Hund, eine kuriose Labrador-Schäfer-Mischung, «Pinot» getauft.
Vielfalt
Tollen Pinot Noir keltern natürlich auch Sabine Steiner, 37, und Andreas Krebs, 34. Ja, Steiners Buurehöf und Krebs’ Alte Reben zählen zu den schönsten Blauburgundern am Bielersee. Doch das liebenswürdige Paar hat noch viel mehr zu bieten. Schliesslich stammen beide aus höchst angesehenen Winzerfamilien. Sabines Vater Charlie Steiner gilt als Pionier der Sortenvielfalt am Bielersee. Er hat das Weingut vergangenes Jahr an Sabine übergeben. 7,5 Hektaren gross, liegt es in grandioser Lage im Weiler Schernelz oberhalb Ligerz. Andreas’ Eltern Manuel und Silvia Krebs winzern in 13. Generation in ihrem Weingut im Vogelsang zwischen Twann und Tüscherz. Andreas wird es nächstes Jahr übernehmen. Und irgendwann wird das Paar auch die beiden Betriebe zusammenlegen. Weissweinkompetenz gesellt sich dann zum Rotweinvermögen. Sabine schwört auf Sauvignon Blanc und Chardonnay. Andreas verkörpert die Pinot-Leidenschaft. Beide finden, dass angesichts von mehr als 40 Rebsorten am Bielersee eine Konzentration auf weniger Sorten wünschbar sei.
Erbe
Sauvignon Blanc spielt auch auf dem Weingut Schlössli in Schafis, direkt am See, eine herausragende Rolle. Die warme Luft, die tagsüber vom See aufsteigt, und die kalte Brise, die nachts vom Berg herunterweht, scheinen der Sorte zu behagen. Fabian Teutsch, 37, erzeugt einen besonders feinfruchtigen, aromatischen Wein. Ein Hauch von Restsüsse steht ihm durchaus gut.
Doch bevor wir den Wein degustieren, steigen wir hinter dem stattlichen Haus, das im Jahr 1580 gebaut wurde und schliesslich im Jahr 1830 in Familienbesitz kam, zum vier Hektaren grossen Rebberg hoch. Es scheint, als ob wir in einen grossen, fruchtbaren Garten eintauchen, Fabian Teutsch ist ein eloquenter, jovialer Führer. Anfang des vergangenen Jahres hat ihm sein Vater den Betrieb überschrieben. Das Weingut mit seiner paradiesischen Lage, einem prachtvollen Fassweinkeller und gesunden Wirtschaftsstrukturen ist ein grossartiges Erbe. Fabian Teutsch meint sich dafür fast entschuldigen zu müssen. Doch der Bestand verpflichtet auch zur besonnenen Pflege und Mehrung. Teutsch ist mit seinen Weinen auf einem gutem Weg.
Eine jüngere Generation
Mit einem Anteil von 53 Prozent an der Produktion von rund 40.000 Flaschen dominiert der Pinot Noir. Die Reserve steht mit an der Spitze am Bielersee.
La Neuveville, deutsch Neuenstadt, bildet das westliche Ende des Weinbaugebiets am linken Bielerseeufer. Im historischen Städtchen wird französisch gesprochen. Man orientiert sich eher gegen Neuenburg hin als gegen Biel. Auch Claude Auberson, 40, pflegte einen vertiefteren Austausch mit seinen Neuenburger Compagnons als mit seinen Berner Kollegen. Doch seit am Bielersee eine jüngere Generation den Ton angibt, steht er mit ihnen in befruchtendem Kontakt. Auberson bewirtschaftet 11 Hektaren. Die Sortenvielfalt dabei ist jedoch überschaubar: Chasselas, Chardonnay und Pinot Noir dominieren. Auf die Gefahr hin, ins Klischee zu verfallen: Aubersons Weine bauen stilistisch so etwas wie eine Brücke über den Röstigraben. Grundiert von einer welschen Leichtigkeit, scheuen sie auch eine grössere Ernsthaftigkeit nicht.
Kurzes Fazit einer wahrlich schönen Reise in die Weinregion am Bielersee: «Man muss bereit sein, Überliefertes zu verlassen», sagt Gabriel Andrey. «Wir kehren behutsam zu den Sorten zurück, die hierher passen», kontert Sabine Steiner. Zwischen diesen Polen bewegt sich die junge Generation der Bielerseewinzer. Hochmotiviert, beherzt und mit viel Vertrauen in die Kraft der eigenen Weine. Von der frischen Brise belebt – und ohne Angst vor einer Flaute.