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Es gibt tatsächlich Bündner Wein sogar im Engadin

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Ruth Spitzenpfeil

Dass den Gästen zwischen Scuol und Maloja die Gewächse aus dem Rheintal schmackhaft gemacht werden, ist noch gar nicht so lange her. Das Hotel «Waldhaus» in Sils i.E. hat da Pionierarbeit geleistet.

Eine Weinregion ist das Engadin schon seit Jahrhunderten. Zwar wächst auf dieser Höhe nicht einmal ein Apfelbaum, geschweige denn eine Rebe. Doch ein bedeutender Wirtschaftszweig war der Wein immer; nämlich dessen Transport über die Pässe. Ungeheure Mengen wurden einst in speziell angepassten Fässern auf Maultieren befördert vom Veltlin nach Norden über die Alpen bis weit nach Mitteleuropa. Noch immer gibt es im Engadin Weinhäuser, die sich auf die alten Säumerbetriebe zurückführen lassen. Nachdem Graubünden 1797 das Veltlin nach fast 300 Jahren an Italien verloren hatte, war mit dem Handel zwar nicht gleich Schluss. Aber auf die Idee, heute die Gewächse aus der Provinz Sondrio als Bündner Weine zu bezeichnen, kommen nur einige wenige Revanchisten.

Die Region im Trend

Was also tun, um beim Megatrend der Gastronomie mitzuspielen? Kaum ein Spitzenkoch, der inzwischen nicht betont, dass er ganz auf regionale Produkte setzt - oder schick ausgedrückt, das «terroir» pflegt. In der touristischen Gründerzeit war das aber ganz anders. Die Gäste damals waren für die kargen Erzeugnisse der Bergbauern kaum zu begeistern. Das Engadin wurde auch deshalb zur Erfolgsgeschichte, weil es gewiefte einheimische Unternehmer schafften, binnen kürzester Zeit die begehrten Delikatessen tessen von weit her heranzuschaffen. So speiste man in den Grandhotels zwischen Scuol und Maloja schon um 1900 eher Wachteln, Austern und Ananas statt Geisskäse, Salsiz und Kastanienbrot. Und die Weinkeller waren mit dem gefüllt, was an den Königshöfen kredenzt wurde. Manche ziehen das bis heute durch. Das Angebot an edelsten Tropfen aus Burgund, Piemont oder der Neuen Welt etwa des «Badrutt's Palace» in St.Moritz lässt so manchen Pariser Gourmettempel vor Neid erblassen.

Als der Österreicher Gerhard Walter vor zwei Jahren Chef der Engadiner Tourismusorganisation wurde, habe er gleich nach einheimischen Weinen gefragt, erzählt er. «Doch wenn wir essen gingen, haben meine hiesigen Kollegen immer nur so etwas wie Rioja, Amarone oder Malbec bestellt», erinnert er sich. Erst durch eine Einladung bei einem zugezogenen Feinschmecker habe er entdeckt: Es gibt tatsächlich Bündner Wein.

Wein von hier, wie bitte?

Auch die meisten Engadin-Touristen aus Deutschland oder Italien reagieren immer noch völlig verblüfft, wenn sie erfahren, dass Graubünden ein Weinbaukanton ist. Aber ganz sicher nicht, wenn sie Gäste im 111-jährigen Hotel «Waldhaus» in Sils i.E. sind. «Vor 20 Jahren mussten wir diese Weine unseren Gästen noch richtiggehend anpreisen», sagt «Waldhaus»-Sommeher Oscar Comalli. Doch jetzt laufe es von allein. «Die Winzer in der Bündner Herrschaft und im Churer Rheintal haben eine solch fantastische Entwicklung gemacht, dass dies heute fast die wichtigste Position in unserer Karte ist», so der Kellermeister.

Ein Blick in das 48-seitige Buch bestätigt es. Nicht nur sind alle bekannten Bündner Namen zuvorderst in der langen Liste der Flaschenweine vertreten, auch im wöchentlich wechselnden Angebot von rund einem Dutzend offenen Weinen befinden sich immer mehrere Bündner. Und auch beim emblematischsten aller Engadiner Getränke war das «Waldhaus Sils» Pionier: Als eines der ersten Häuser im Tal stellte es perlenden Schaumwein aus Malans selbstbewusst gegen französischen Champagner.

Ein Heimspiel war es deshalb, als am Mittwoch die Gruppe Vinotiv von zwölf Winzern aus Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans die traditionelle Weingala im «Waldhaus» bestritt. Diese zweimal im Jahr vom Weinpublizisten Stefan Keller durchgeführte Veranstaltung besteht aus offener Degustation, einem Seminar und einem zum Wein passenden Diner.

Markant, überzeugend, grandios 

Vor den Probierständen drängten sich Profis, Kenner und Neugierige. Man ergötzte sich an Irene Grünenfelders «Champagner» - einem Crémant Pinot Noir. Man wog den vollmundigen «Pfaffen/Calander» des Sprecher von Bernegg gegen den markanten Pinot Noir «Seection Barrique» von Annatina Pelizzatti ab, liess sich von Carina Lipps «Intuiva» überzeugen und beeilte sich, den grandiosen Malanser Pinot Gris von Fromm vorzubestellen. Bestimmt niemand an diesem Abend vermisste einen Rioja, Amarone oder Veltliner.