Enorme Verluste bei Wein und Steinobst
- Freitag 12 Mai 2017
Mit der sehr kühlen Nacht auf den Mittwoch hat die frostige Witterung, die seit Mitte April vor allem den Obst- und Weinbauern viel Schaden bescherte, endlich ein Ende genommen. Die seit Jahrzehnten verheerendste Kältewelle zu dieser Jahreszeit richtete in den Obstanlagen und Rebbergen West- und Mitteleuropas sowie im Mittelmeerraum von Spanien und Frankreich über Italien bis zum Balkan viel Unheil an. Bei den Steinobstkulturen des Schweizer Mittellands, der Nordwestschweiz und der Zentralschweiz schätzen die Experten des Obstverbands den zu erwartenden Ernteausfall auf 90 Prozent. Auch bei den Äpfeln (80 Prozent), Birnen (90 Prozent), Erdbeeren (30 Prozent) und Strauchbeeren (20 Prozent) sind diese Regionen am stärksten betroffen.
Erst provisorische Schätzungen
Im Landesdurchschnitt gingen nach diesen Schätzungen 78 Prozent der Kirschen, 67 Prozent der Zwetschgen und 51 Prozent der Aprikosen sowie 27 Prozent der Äpfel, 35 Prozent der Birnen, 28 Prozent der Erdbeeren und 19 Prozent der Strauchbeeren verloren. Dies entspricht einem mutmasslichen Schaden von 101 Millionen Franken. Georg Bregy, Direktor des Schweizer Obstverbands, rät allerdings zu Vorsicht bei diesen Zahlen. Es handle sich lediglich um provisorische Schätzungen, und die Fehlerquote könne bis zu 30 Prozent betragen.
Die bei ihm eingehenden Angaben der Produzenten seien noch mit vielen Unsicherheiten verbunden und zum Teil auch widersprüchlich, führt Bregy weiter aus. Die späten Kernobstsorten, deren Blüten beim Frost noch nicht offen waren, dürften wohl heil davongekommen sein. Bei den Beeren zeige sich auch noch kein klares Bild. «Es gab grosse Schäden im Schweizer Obstbau, das ist klar, aber wie gross sie tatsächlich sind, wird man erst nach der Ernte endgültig feststellen können.»
Grosse Einbussen beim Wein
Nicht viel anders präsentiert sich die Lage in den Weinbaugebieten. Die provisorischen Erhebungen des Schweizerischen Weinbauernverbands ergeben gegen 40 Prozent Verlust im Wallis. Im Chablais sind es rund 15 Prozent, im Kanton Genf bis 50 Prozent. Die Waadtländer Rebgebiete Bonvillars, La Côte und Lavaux waren wenig betroffen, und auch an Bieler- und Neuenburgersee blieben die Schäden relativ gering, mit Ausnahme des Mont Vully, wo 100 von 140 Hektaren zu 40 bis 100 Prozent geschädigt wurden. Im Tessin sind 100 der insgesamt 1095 Hektaren Reben zwischen 20 und 90 Prozent betroffen.
Sehr gross wird der Ernteausfall in der Deutschschweiz sein. Im Kanton Zürich sind auf 484 Hektaren der Gesamtanbaufläche von 605 Hektaren bis zu 80 Prozent der Trauben vernichtet. Im Thurgau sind 205 von 257 Hektaren bis zu 80 Prozent betroffen. Im Kanton Schaffhausen verzeichnen 90 Prozent der 483 Hektaren Weinberge Ausfälle von bis zu 90 Prozent. In Graubünden wird auf zwei Dritteln der dortigen 422 Hektaren Anbaufläche mit Ausfällen von bis zu 65 Prozent gerechnet. St. Gallen meldet auf 40 Prozent seiner 215 Hektaren bis 40 Prozent Verlust, und die 175 Hektaren grossen Rebflächen in der Nordwestschweiz sind ganz erfroren.
Abwarten und hoffen
Der Schaden dürfte sich auf einen hohen zweistelligen oder allenfalls sogar auf einen dreistelligen Millionenbetrag belaufen, fürchtet Chantal Aeby Pürro vom Schweizerischen Weinbauernverband. Aber auch sie betont, dass diese Schätzungen mit Vorsicht zu geniessen seien. Etwas klarer werde man in rund einem Monat sehen, wenn die Weinstöcke Blüten treiben. Naturgemäss müsse man die Ernte abwarten, ehe sich die Verluste des Jahres verlässlich beziffern liessen. Vieles hänge auch vom Wetter der kommenden Monate ab.
Bei den Gemüsebauern erlitten besonders die Produzenten von grünem Spargel grosse Verluste; die in der Erde geschützten Bleichspargeln dagegen waren kaum von der Eiseskälte betroffen. Das Schadensausmass lasse sich aber auch beim Gemüse noch lange nicht beziffern; dazu müsse die Vegetation zunächst etwas weiter voranschreiten, sagt Markus Waber vom Verband Schweizer Gemüseproduzenten. Über die Kohlraben lägen noch kaum Informationen vor, bei den Salaten sei eine saubere Marktversorgung gewährleistet, und bei den Zucchetti sei das Ausmass der Frostschäden vermutlich eher gering.
Die Gemüseproduzenten seien bei weitem nicht so stark vom Frost heimgesucht worden wie die Obstbauern und Winzer, fasst Waber zusammen. Ausserdem hätten sie mehrere Ernten im Jahr. Klar sei, dass das Mittelland und die Ostschweiz am stärksten unter der Kälte gelitten hätten. Das Ausmass des Schadens lasse sich aber weder in Geldbeträgen noch in Prozenten angeben. «Die Betriebe sind es gewohnt, dass das Wetter nicht immer mitspielt», weiss Waber. «In manchen Jahren ist es auch zu nass oder zu trocken. Und eine Bilanz ist immer erst nach der Saison möglich.»
Einige Zugvögel kehren später zurück
Die Kälte hatte offenbar auch einen gewissen Einfluss auf die Rückkehr von Zugvögeln aus den Gebieten südlich der Sahara. Zwei dieser Langstreckenzieher, der Gartenrotschwanz und der Trauerschnäpper, trafen laut Michael Schaad von der Vogelwarte Sempach rund eine Woche später in der Schweiz ein als üblich. Zwei weitere typische Zugvögel, die Mehlschwalben und die Rauchschwalben, indes hatten kaum Verspätung. Allerdings meldeten freiwillige Beobachter aus der Westschweiz, dass die Brutplätze dieser Vögel dieses Jahr deutlich später besiedelt worden seien als sonst. Radarmessungen der Vogelwarte zeigten einen markanten Rückgang der über die Schweiz ziehenden Vogelschwärme für die Zeit vom 11. bis 20. April, als zunächst starker Gegenwind und danach unüblich grosse Kälte herrschte.