Dieser Zürcher Wein könnte einer der besten Jahrgänge werden
- Freitag 28 September 2018
Nach dem Rekordsommer sind die Trauben bis zu drei Wochen früher reif als üblich. Die Kellermeister kommen mit dem Keltern kaum nach.
Einfach zuschauen, wie die anderen arbeiten? Schwierig, denn jede Hilfe ist willkommen. Schon wird nach einer Schere gesucht, die man dem Ankömmling in die Hand drücken könnte. Und von weit oben ruft jemand: «Wir brauchen noch leere Kisten!»
Etwa fünfzehn Personen kraxeln im Rebberg des Schlossguts Teufen hinauf und hinunter und wümmen auf Teufel komm raus. Es ist so steil, dass der kleine Raupenlader, mit dem Winzer Beat Kamm die geernteten Trauben zum Feldweg hochbringt, fast kopfüber zu kippen scheint. Das Weingut Schloss Teufen im unteren Tösstal ist seit 1874 im Besitz seiner Familie. «Seit Jahren verlangen wir ein Seilbähnchen», witzelt eine Wümmerin, als sie ihre bis zum Rand gefüllte Gelte zum Trax schleppt.
«Der 2018er wird sich weit vorne in der Statistik der besten Jahrgänge einreihen.» Andreas Wirth, Zürcher Rebbaukommissär
«Es ist eine der schönsten Weinlesen, die ich je erlebt habe», sagt ein Rentner, der seit Jahren beim Wümmet auf dem Schlossgut aushilft. «Rundum eine gefreute Sache», sagt Kamm. Und selbst auf dem Zürcher Rebbaukommissariat kommt man ins Schwärmen. Andreas Wirth sagt: «Die Reben standen dieses Jahr schön, einfach richtig schön.» Nach dem Spätfrost in den beiden Vorjahren und dem verheerenden Hagel im letzten Jahr sei das eine Wohltat. Er ist überzeugt: «Der 2018er-Jahrgang wird sich weit vorne in der Statistik der besten Jahre einreihen.»
Mineralwasser statt heissem Tee für die Erntehelfer
Es ist eine Weinernte der Superlative: «Man mag sich kaum erinnern, dass der Wümmet so früh war», sagt Wirth. Die ersten Trauben der Sorte Solaris wurden bereits am 20. August geerntet. Und diese Woche ist schon Endspurt. Beat Kamm rechnet damit, dass er am kommenden Samstag die letzten Trauben seines 4,3 Hektaren umfassenden Rebbergs einbringt. Das ist bis zu drei Wochen früher als üblich.
In anderen Jahren sei der Wümmet des Blauburgunders durchaus einmal bis in den November hinein gegangen. «Da mussten wir an die Helfer heissen Tee ausschenken. Letzte Woche haben wir bei 30 Grad gewimmt, und wir schleppten harassenweise Mineralwasser auf den Berg.»
An diesem Nachmittag ist die Temperatur perfekt: gut 20 Grad, ein leichter Wind weht. Zwei Bussarde kreisen über dem imposanten Schlossgut, und ganz hoch oben zeichnet ein Flugzeug einen Kondensstreifen in den tiefblauen Himmel. Tiefblau sind auch die Beeren, die dicht an dicht an der Rispe hängen. Prall glänzend.
Rebbauer Beat Kamm erntet zurzeit jeden Tag etwa zweieinhalb Tonnen Trauben. Bild: Dominique Meienberg
Die Wümmerinnen und Wümmer arbeiten sich stetig den steilen Hang hinunter, drehen die «Trübel» kurz in der Hand, klauben hin und wieder mit dem Messer eine schrumpelige Beere raus. Einer ruft einem anderen einen Spruch zu, manchmal plaudern zwei. Ein friedliches Bild, fast wie von Albert Anker gemalt.
Blau vor Grün statt Gold
Etwas irritiert. Es dauert eine Weile, bis man realisiert, was in diesem Bild anders ist als sonst: das Laub. Während sich üblicherweise die roten Trauben von den bereits golden gefärbten Blättern abheben, stehen sie hier noch vor sattem Grün.
«Diese gesunden Trauben machen die Ernte einfach, wir kommen sehr gut voran», sagt Kamm. Auch die Kirschessigfliege hat bisher kaum Schaden angerichtet. Und der Behang ist üppig. «Die Trauben sind so gesund, dass wir nur wenige reduzieren mussten», fährt er fort. Rund 2,5 Tonnen Trauben bringt er pro Tag in den Keller. Es gibt eine grosse Ernte. Und auch die Bodenpflege und die Laubarbeit gaben weniger zu tun als sonst.
In Ausnahmejahren wie diesem scheint das Winzern ein Zuckerschlecken zu sein. Zumal es nicht nur viel Wein gibt, sondern auch einen ausgezeichneten. «Die gewünschten über 95 Oechsle-Grad haben wir schon längst erreicht», sagt Kamm. Und den Fehler, den viele Winzer im Rekordsommer 2003 machten, nämlich den Oechsle möglichst hochzujagen, mache man nicht mehr. Denn ein grosser Wein braucht auch eine gewisse Säure.
Weinkeller müssen gekühlt werden
Viele Winzer hätten deshalb lieber noch früher geerntet, doch da machten ihnen die Kellermeister einen Strich durch die Rechnung. Denn dort drohten Staus. Beat Kamm keltert seinen Wein selber, zudem verarbeitet er Trauben anderer Winzer. «Die Herausforderung liegt auf der Seite der Kellereien», sagt er. Es sollten nur so viele Trauben geliefert werden, wie in den Trotten laufend verarbeitet werden können.
In normalen Jahren ist das kein Problem, zumal es zwischen der Lese der weissen und der roten Trauben üblicherweise eine etwa zweiwöchige Pause gibt. Da war der Weisse in den Fässern, bis der Rote kam, der in der Kelterung aufwendiger ist. Dieses Jahr sind die weissen und die roten Trauben fast miteinander eingegangen. Und eben in grosser Menge.
Bis zu drei Wochen früher als üblich: Bereits dieses Wochenende sollen dank der Unterstützung zahlreicher Helfer die 4,3 Hektaren von Beat Kamm geerntet sein. Bild: Dominique Meienberg
Im schönen Tuffsteinkeller liegen die heute geernteten und abgebeerten Trauben in einem grossen offenen Holzbottich in der Maische. Ein säuerlich-frischer Geruch sticht in die Nase. «Es suusert», sagt Alexandra Kamm, die den Schlosshof zusammen mit ihrem Mann führt. Gleichzeitig gluckst der Heurige in den Tanks und Eichenfässern, als ob er den Schluckauf hätte. An ihnen befestigte Thermometer geben etwas über 17 Grad Celsius an. Normalerweise wird der Rebenmost im schon fast winterkühlen Keller gezielt erwärmt, damit die Gärung stetig abläuft. Doch derzeit muss er gekühlt werden. Sonst läuft der Prozess zu schnell ab, da sonnenwarme Trauben in den noch fast sommerwarmen Keller kommen.
Es ist bald vier Uhr. «Feierabend!» ruft Beat Kamm den Rebberg hinauf. Keine Reaktion. Er stutzt. «Oder wollt ihr noch eine halbe Stunde weitermachen?» Sie wollen, denn es ist ein so schöner Wümmet.