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Die Sommelière und das grosse Buch der Weine

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Texte: Britta Wiegelmann
Der Gourmetguide «Gault Millau 2016» kürte Sommelière Yvonne Stöckli jüngst zur Besten ihrer Zunft. Für heimische Tropfen engagiert sie sich schon seit über 20 Jahren. Porträt einer Vorreiterin.

Andere Hotels oder Restaurants haben eine Weinkarte. Der «Alpenblick» im bernerischen Wilderswil hat ein Weinbuch. Ein gewaltiges Werk mit Lederumschlag und Prägung, handgemacht von einem Schweizer Buchbinder und – ja, wie schwer ist es denn? Yvonne Stöckli (50) lacht. «Keine Ahnung, ich habs noch nie gewogen», sagt sie. «Jedenfalls greift man es nicht im Vorbeigehen kurz mal mit einer Hand.» Während ihrer beiden Schwangerschaften war sie froh, wenn ein Mitarbeiter das Tragen übernahm. Das Besondere an dem dicken Band ist aber nicht seine Verpackung, sondern der Inhalt: Rund die Hälfte der Weine, die dort gelistet sind, kommen aus der Schweiz. Das ist Yvonne Stöcklis Leidenschaft, dafür setzt sie sich ein. Und darum wurde sie in der jüngsten Ausgabe des Restaurantführers «Gault Millau» als «Sommelière des Jahres» ausgezeichnet. Ein Blick zurück. Mit Wein hatte Yvonne Stöckli in jungen Jahren nicht viel im Sinn. «Mit 17 und 18 Jahren habe ich in Morges beim Weinlesen mitgeholfen. Damals ahnte ich noch nicht, dass mich der Wein noch weiter verfolgen würde», erzählt sie. «Es war so streng, den ganzen Tag gebückt die Trauben zu lesen, dass ich jeweils ab dem dritten Tag in den Küchendienst verlegt wurde …» Als sie ihren späteren Ehemann Richard Stöckli, den Hausherrn des «Alpenblick», traf, hatte sie eine kaufmännische Ausbildung absolviert und arbeitete als Flugbegleiterin. «Der Weinverrückte von uns beiden war mein Mann. Aber er konnte sich neben der Küche nicht auch noch um den Keller kümmern. Also habe ich das übernommen.»

Begeistern statt belehren

24 Jahre ist das nun her. In dieser Zeit hat Yvonne Stöckli die Schweizer Weinlandschaft kreuz und quer bereist. «Unser Land bietet eine wahnsinnige Vielfalt. Und wenn man im Weinberg steht und mit dem Winzer spricht, lernt man extrem viel.» Dieses Wissen teilt sie heute mit ihren Gästen. Immer unaufdringlich, nie belehrend. «Ich möchte begeistern, nicht bevormunden», sagt sie. Ihre schönsten Momente erlebt sie, wenn sie es schafft, einen erklärten Skeptiker mit einem Schweizer Tropfen zu überraschen. «Viele Schweizer wählen heutzutage eher italienische oder spanische Weine. Schön, wenn ich ihnen stattdessen ein heimisches Produkt nahebringen kann.»

Keller von Hand gegraben

Wir steigen hinunter in den Weinkeller. Die Treppe ist steil, der Keller eng und vollgestellt mit Regalen. Bis unter die Decke stapeln sich die Flaschen. «Der Raum war noch viel kleiner», erinnert sie sich. «Das heutige Volumen hat mein Mann zusammen mit einem Küchenhelfer ausgeschaufelt. Einen ganzen Winter lang haben die beiden hier gegraben, Eimer für Eimer die Erde rausgetragen und eigenhändig die Wände betoniert.» Die älteste Flasche in der Kollektion stammt aus dem Jahr 1947, die grösste fasst drei Liter, die teuerste steht mit über tausend Franken auf der Karte. Doch Yvonne Stöckli sprintet keinem Rekord hinterher. «Die wahre Kunst ist es, Gäste mit jeder Geschmacksrichtung und auf jedem Preisniveau zu beraten.» Auch sie selber nimmt bei Restaurantbesuchen liebend gern die Hilfe des Sommeliers in Anspruch. «Am liebsten probiere ich dann einen Wein, den ich noch nicht kenne», sagt sie.

5 Kilo und 555 Gramm

Im Restaurant des «Alpenblick», dem «Gourmetstübli», kocht ihr Mann Richard Stöckli auf hohem Niveau: Seine Küche ist mit 16 «Gault Millau»-Punkten und einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Solche Häuser bieten oft an, jeden Gang des Menüs mit einem anderen Wein zu begleiten. Gibt es das bei Stöcklis auch? «Ach nein», sagt Yvonne Stöckli, «das würde den Gaumen überfordern. Lieber helfe ich dem Gast, zu einem grossen Menü zwei bis drei Weine zu finden, die er richtig gerne mag und über mehrere Gänge geniessen kann.» Neben dem Weinkeller glänzt der «Alpenblick» übrigens mit einer exzellenten Auswahl an Schweizer Käsen. Mehr als 40 heimische Sorten liegen auf dem Wagen, darunter auch Alpkäse von Marianne und Rosa, den Kühen der Familie Stöckli. Ehrensache, dass die Gastgeberin auch dazu am liebsten Schweizer Tropfen empfiehlt. «Wir haben zum Beispiel einen portweinähnlichen Wein aus dem Kanton Aargau, der hervorragend zu Käse passt», sagt sie. Und gibt zu: «Am liebsten würde ich unser Weinbuch ausschliesslich mit Schweizer Weinen füllen!» Am nächsten Tag meldet sie sich nochmals: Sie hat das Werk gewogen. 5 Kilo und 555 Gramm ist es schwer.