Die Farbe Orange
- Dienstag 04 Juli 2017
Der Begriff der orangen Weine ist neu, das Verfahren alt, uralt sogar. Als orange Weine werden seit einigen Jahren jene aus weissen Traubensorten erzeugten Säfte bezeichnet, die im Gegensatz zu «gewöhnlichen» Weissweinen an der Maische, also - wie Rotweine - mit den Traubenhäuten und manchmal auch mit den Stielen, vergoren werden. Sie werden in der Regel ohne Zusätze und Hilfsstoffe mehrere Wochen, ja manchmal sogar mehrere Monate lang langsam vergoren. Durch den langen Prozess und den Luftkontakt bekommen diese naturbelassenen Weine ihre typische dunkelgelb-orange Farbe. Dazu kommt, dass orange Weine aus biologisch oder biodynamisch erzeugten Trauben gekeltert und in der Regel urfiltriert und mit nur geringer oder gar keiner Zugabe von Schwefel in Flaschen abgefüllt werden.
Kein Mode-Gag
Weissweine auf diese Art zu erzeugen und in den Verkauf zu bringen, entspricht zwar einem in jüngster Zeit populär gewordenen Trend, doch die orangen Weine als blossen Modegag abzutun, würde der Sache nicht gerecht werden. Dass man weisse Trauben an der Maische vergärt und nicht wie heute üblich nur den abgepressten Traubenmost, ist ein uraltes Verfahren. Am lebendigsten erhalten hat sich diese Tradition in Georgien, das als eines der ältesten Weinbauländer gilt. Aufgrund von archäologischen Funden weiss man heute, dass im Gebiet des Südkaukasus bereits vor 8000 Jahren Wein aus den Trauben von kultivierten Weinreben erzeugt wurden. Seit Jahrtausenden wird in Georgien Wein in sogenannten Kvevris erzeugt. Das sind grosse, bis zu 4000 Liter fassende Amphoren aus gebrannter Tonerde, die aus statischen und klimatischen Gründen im Boden eingegraben sind. In ihnen werden nicht nur Rotweine, sondern auch Weissweine auf der Maische langsam vergoren, je nach Sorte bis zu sechs Monate lang.
Grosses Spektrum an Stilen
Diese Art der Weinbereitung hat sich bis heute in Georgien gehalten. Seit dem späten 20. Jahrhundert hat sie mehr und mehr auch in anderen Weinbaugebieten Fuss gefasst, wobei neben Amphoren auch Fässer und Tanks als Gärbehälter Verwendung finden und das traditionelle Verfahren mitunter auch mit Methoden moderner Weinbereitung kombiniert wird. Da es weder eine rechtliche Definition noch ein verbindliches Herstellungs- und Qualitäts-Label gibt, ist das stilistische Spektrum der Gewächse, die den orangen Weinen zugeordnet werden, gross. Was die Erzeuger von orangen Weinen jedoch verbindet, ist das Ziel, sowohl naturbelassene und bekömmliche Weine wie auch eigenständige, nicht standardisierte Weine zu keltern, die ein ursprüngliches, ungewöhnliches und vielschichtiges Geschmackserlebnis ermöglichen. Kritiker monieren deshalb, dass bei den orangen Weinen der Rebsortencharakter und die Herkunft kaum oder gar nicht mehr feststellbar seien. Dem hält der auf Naturweine spezialisierte Weinhändler Peter Bucher entgegen, dass es sich bei den orangen Weinen um eigenwillige Weinpersönlichkeiten handle, die man als solche beurteilen und geniessen solle. Die Verkostung einer Auswahl von orangen Weinen, die er in seiner Weinhandlung Irrunei in der Solothurner Gemeinde Dornach anbietet, zeigt die grosse stilistische Bandbreite der verschiedenen Gewächse. Gemeinsam ist ihnen, dass sie im Bouquet kaum primäre Fruchtaromen, dagegen Noten von überreifen und getrockneten Früchten und mitunter auch oxidativ-nussige Anklänge erkennen lassen. Im Gaumen zeigen sie sich komplex und dicht gewoben, mit einem mehr oder weniger spürbaren Tanningehalt und Aromen von reifen Früchten, Kräutern sowie von frischen oder getrockneten Zitrusfrüchten.