Aktuelles

Die älteste rebsorte graubündens erlebt eine renaissance

Quelle /
Text und Bilder: Peter de Jong
Der Completer ist ein Weisswein, der schon im Mittelalter in der Bündner Herrschaft gekeltert wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die heimische Rebe praktisch ausgestorben. Nun ist die Begeisterung für diese unnachahmliche Spezialität neu erwacht – nicht zu Unrecht. 

Der Completer ist eine der ältes­ ten Rebsorten, die in der Schweiz angebaut werden. Die erstmals 1321 in einer Schrift des Domka­ pitels Chur erwähnte Traubensor­ te verdankt ihren Namen der Komplet, lateinisch Completori­ um, dem letzten gemeinsamen Stundengebet, nach dem die Mönche das Recht auf einen Schlummerbecher Wein hatten. Eben den Completer. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Bedeutung des Completers dramatisch ab. Vermutlich fiel er als blüteempfindliche und spät­ reifende Sorte den damaligen kli­ matischen Schwierigkeiten zum Opfer. Vielleicht war es aber auch die horrende Säure, die man – anders als heute – mit den damaligen Möglichkeiten nur schwer in den Griff bekam. Wo­ her der Completer stammt, ist nicht geklärt. Pflanzengenetische Untersuchungen haben ergeben, dass der Completer mit dem Walliser Lafnetscha, eine Kreu­ zung von Completer und Huma­ gne blanc, verwandt ist. Am wohlsten ist es dem Completer aber in Malans, und das angeb­ lich schon seit über 1000 Jah­ren.

Launischer geselle

Zwölf Winzer bauen heute den Completer in der Bündner Herr­ schaft an. Malans ist auch heute noch so etwas wie die Hochburg dieser besonderen Spezialität, auch wenn die Gesamtfläche nach wie vor äusserst bescheiden ist: Neun Produzenten kultivieren den Completer in Malans, zwei in Jenins und einer in Fläsch, zu­ sammen 3,6 Hektaren. Daraus resultieren im Normalfall rund 25000 bis 30000 Flaschen. In jüngster Zeit haben auch die jun­ gen Winzer wie Jan Luzi und Christian und Francisca Obrecht aus Jenins das Potenzial dieser uralten Varietät wiederentdeckt. Dabei ist der Completer, da sind sich die Winzer einig, in Weinberg und Keller ein launischer Geselle, von dem nur in besonders guten Jahren gute Ergebnisse zu erwar­ ten sind. Und der schon manch einen Winzer zum Verzweifeln ge­ bracht hat, wenn er sich mit der Gärung oder auch dem Säureab­ bau wieder einmal viel Zeit lässt. So schwierig seine Kultivierung ist, so unterschiedlich sind auch die Weine, die aus Completer ge­ keltert werden. Die einen bauen ihn mit Restsüsse aus, andere setzen auf die trockene Variante. Ganz traditionell mag es Gianni Boner von der Completer Kellerei in Malans. So wie sein Grossvater und sein Vater dieses urtümliche Gewächs gekeltert haben. Die vom Föhn angetrockneten Trau­ ben werden in der Regel Anfang November mit mindestens 100 Grad Oechsle geerntet. «Mehr ist noch besser», bemerkt der 44­jäh­ rige Winzer, der dem Wein bis zu zehn Jahre zum Reifen gibt. Zu­ nächst zwölf Monate in der Bar­ rique, dann im Tank und zuletzt nochmals sechs Monate im klei­nen Holzfass. «Mit den Jahren baut sich die Säure auf natürliche Weise ab», erklärt Boner. Das Re­ sultat ist ein geschmeidiger, fast sherryartiger Wein mit einer leich­ ten, nicht unangenehmen oxidati­ ven Note. Etwas für Kenner und Liebhaber, die das Ausserge­ wöhnliche schätzen. 1800 Fla­ schen gibt es vom Jahrgang 2003, der im nächsten Frühjahr in den Verkauf gelangt.

Completer auch in Chur

Auch Gian­Battista von Tscharner gibt der trockenen Variante den Vorzug. 25 Jahrgänge hat der Winzer vom Schloss Reichenau aus der Jeninser Lage Sprecher­ gut gekeltert. 500 bis 800 Liter waren das jedes Jahr, bis der Pachtvertrag 2007 auslief. Inzwi­ schen hat er in Jenins, in der Lage Bündte, und in Chur, im Waisen­ haus und im Lochert, einige Rei­hen Completer neu gepflanzt. Von Tscharner lässt den Wein mindes­ tens sieben Jahre im kleinen Holz, bis die ausgeprägte Säure, die dem Completer eigen ist, gezähmt ist. Kellertechnische Eingriffe be­ schränkt er auf das Notwendigs­ te. Er lässt dem Wein die Zeit, die er braucht: «Der Wein muss sich seinen langen Weg selber su­ chen», erklärt er. Nur noch weni­ ge Flaschen sind vom Jahrgang 2006 erhältlich. Der kräftige Wein präsentiert sich mit Aromen von Nüssen, Quitten und Grape­ fruit und einer saftigen, gut inte­ grierten Säure – ein eindrücklicher Tropfen mit einer Lebensdauer von 20 und gar 30 Jahren.

Jan Luzi mag den Completer nicht zuletzt auch deshalb, weil er, wie der Pinot noir, den Winzer heraus­ fordert: «Ein superlässiger Wein mit Charakter», findet der 39­jäh­ rige Jeninser, der heute zehn Aren Completer in jener Lage besitzt, den einst Gian­Battista von Tscharner von seiner Tante Doro­ thea von Sprecher gepachtet hat­ te. Vier Jahrgänge hat er bis jetzt gekeltert, jeweils etwa 300 Liter. Die bescheidene Menge führt Luzi auf das hohe Alter der Reben zu­ rück, die mittlerweile über 30 Jahre alt sind. «Die alten Rebstö­ cke produzieren zwar sehr hoch­ wertige Trauben, sind allerdings auch ertragsärmer.» Die beiden Jahrgänge 2012 und 2013 sind – wetterbedingt – gar noch etwas kleiner ausgefallen. Die Trauben werden spät gelesen, der Wein 18 Monate in einer gebrauchten Bar­ rique trocken ausgebaut. Weil die Nachfrage nach Completer, ins­ besondere in der Gastronomie, gross ist, plant Luzi, die Produk­ tion auszubauen: «Die doppelte Menge wäre ideal», sagt er.

Einst verpönt, heute geliebt

Der Jeninser Winzer Christian Obrecht beschreitet mit dem Completer ebenfalls Neuland, nicht aber das Weingut Obrecht: Schon sein Urgrossvater baute die Sorte in einer Malanser Lage an. «Um die enorme Säure zu mildern, wurde damals eine klei­ ne Partie Muscat blanc beige­ mischt», erzählt Obrecht, der stolz eine Flasche des Jahrgangs 1955 aus seinem Keller präsen­ tiert – sie ist in erstaunlich guter Verfassung. Nach dem schweren Frostjahr 1956 ersetzte der Grossvater den Completer jedoch durch Pinot gris. 2009 machte es Obrecht umgekehrt: Der Pinot gris musste dem «Urbündner» wieder Platz machen. «Ich mag den Completer», sagt er, «er ge­ hört zu Graubünden und zu un­ serem Weingut.» 2012 konnten die ersten Trauben der noch jun­ gen Reben geerntet werden. Der Wein – gerade mal 280 Flaschen – wurde trocken vergoren, zwölf Monate in neuem Holz ausge­ baut und unfiltriert abgefüllt. Mit dem Resultat ist Obrecht sehr zufrieden: «Ein vielversprechen­ der Auftakt.»

Auch Hans Donatsch, der Gross­ vater des Malanser Winzers Mar­tin Donatsch, fand wenig Gefal­ len am Completer und liess die Stöcke 1947 ausreissen. Im Hin­ blick auf die 100­Jahr­Feier des «Ochsen» hatte Martins Vater die Idee, den Completer zu neuem Leben zu erwecken. 1993 wur­ den rund 15 Aren mit Completer neu bestockt. Der Jubiläumswein 1997 schlug ein wie eine Bom­ be. Nach und nach wurde die Produktion ausgebaut. «Wir sind heute mit etwa 70 Aren und 3000 Flaschen der grösste Pro­ duzent von Completer», sagt Martin Donatsch, «weltweit!» Voll­, fast überreif werden die schon leicht geschrumpften Trauben Mitte November mit 110 bis 120 Oechsle geerntet und in gebrauchten Barriques ausge­ baut. Da die Hefen den ganzen Zucker nicht verarbeiten können, bleiben einige Gramm Restzu­ cker im Wein zurück, die, mit der vitalen Säure kombiniert, für ein spannendes Geschmackserlebnis sorgen. Der frisch abgefüllte Jahrgang 2013 besitzt zehn Gramm Säure und 6,5 Gramm Restzucker – für Donatsch «der perfekte Completer».

Vielfältiger Essensbegleiter

Gewiss: Der Completer ist kein Alltagswein. Eher einer, den man Glas für Glas entdecken muss. Es lohnt sich, diesen einzigartigen Wein vier, fünf oder noch mehr Jahre im Keller zu «vergessen», evor man ihn entkorkt. Durch die Lagerung gewinnt er an Kom­ plexität, Finesse und Harmonie. Es gibt viele passende Gelegen­ heiten, diesen Weisswein zu ge­ niessen. Solo, aber als auch Es­ sensbegleiter. Ausgezeichnet passt er zur Bündner Küche, wie Martin Donatsch findet. Von Tscharner mag ihn besonders gerne zu einem Stück heimi­ schen Speck, Obrecht zu einem frischen Gartensalat mit Bündner Eierschwämmen und Räucher­ saibling. Aber auch verschiedene Fische und Krustentiere begleitet der Completer mit Stil – und ge­ reiften Hartkäse. Der Bündner 3­Sterne­Koch Andreas Camina­ da vom Hotel Schloss Fürstenau empfiehlt den mit Restsüsse ge­ kelterten Completer gerne zu sei­ ner Suppe aus karamellisierten Zwiebeln. 

 

Produzenten

Malans:
Completer Kellerei, Giani Boner, (Jahrgang 2003 ab Frühjahr 2015)
Weinbau zur Krone, Luzi Boner, (Barrique)
Weinhaus Cottinelli, 
Weingut Donatsch, Martin Donatsch,
Weingut Plandaditsch, Andrea und Anita Lauber, (Schaumwein)
Thomas Studach
Plantahof, Moritz Villinger
Volg Weinkellereien

Jenins:
Weingut Sprecher von Bernegg, Jan Luzi
Weingut zur Sonne, Christian und Francisca Obrecht, (ab Frühjahr 2015)
Gian­Battista von Tscharner

Fläsch:
Peter und Rosi Hermann