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Der Roboter im Rebberg: Wie Technologie den Weinanbau verändern soll

  • Sonntag 02 September 2018
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Reto Flury, Bilder: Simon Tanner / NZZ
Der Hitzesommer hat die Zürcher Weinreben schneller wachsen lassen als gewöhnlich. Vor allem die Produzenten von Weisswein sehen sich vor einer delikaten Aufgabe. Längerfristig stellen sich aber ganz andere Herausforderungen.

Das Rebjahr 2018 erlaubte den Winzern bisher kaum Verschnaufpausen. Die ausserordentlich warme bis heisse Witterung seit Anfang Mai und das Ausbleiben eines kräftigen Kälteeinbruchs liessen die Pflanzen viel schneller gedeihen als in anderen Jahren. Marcus Schneider vom Weingut Hasenhalde in Feldmeilen schätzt, dass die gesamte Vegetation rund drei Wochen im Vorsprung ist. Für ihn bedeutete dies, dass die verschiedenen Arbeitsschritte – Zweige einschlaufen, kappen, Laub um die Trauben schneiden, ausgeizen – fast nahtlos ineinander übergingen. «Wir waren immer am Ball», sagt Schneider.

Wegen des zügigen Wachstums beginnt der Wümmet deutlich früher als sonst. Einzelne Weinbauern am Zürichsee haben diese Woche schon begonnen. Die Familie Schneider fängt am nächsten Montag mit der Ernte des Riesling-Sylvaners an. Es gebe sehr viele Trauben von guter Qualität und mit hohem Zuckergehalt, sagt Schneider. Als Problem könnte sich hingegen der fortgeschrittene Abbau der Säuren erweisen, die Kehrseite des heissen Sommers, berge doch ein tiefer Gehalt die Gefahr plumper, wenig fruchtiger Weine, sofern nicht der richtige Zeitpunkt für die Ernte gewählt werde.

Gespannt ist Schneider auch auf andere Aromakomponenten, denn wegen der frühen Ernte fallen die kühlen Herbstnächte weg, die in der späten Wachstumsphase als Förderer dieser Stoffe gelten. Weit optimistischer ist Schneider, was die Qualität von Pinot noir oder Cabernet Sauvignon angeht. Diese hätten bisher sehr gut reifen können und hätten das Potenzial für einen Spitzenjahrgang. Insgesamt schätzt Schneider die Lage als eher positiv ein. «Es ist sicher ein Jahr, von dem man noch lange erzählen wird.»

Auch der Winzer Niklaus Zahner aus Truttikon im Weinland rechnete vor wenigen Wochen mit einem sehr frühen Erntebeginn. Mittlerweile musste er die Prognose revidieren. Denn seit zwei Wochen misst er besonders an kiesigen Lagen und auf Kuppen einen verlangsamten Anstieg des Zuckergehalts. Zahner führt dies am ehesten auf die extreme Dürre der vergangenen Wochen zurück. In Truttikon sei kaum je ein Gewitter niedergegangen, im Unterschied zu anderen Orten im Weinland. Dort fiel lokal genug Wasser, so dass sich die Pflanzen dort schneller entwickelten und die Wümmet jetzt schon beginnen kann. Zahner sieht den Erntebeginn für seinen Familienbetrieb neu für den 10. September vor.

Im Vergleich zu einst ist dies immer noch sehr früh. Noch vor einer Generation, so der Winzer Schneider aus Feldmeilen, habe der 1. Oktober als Tag für den Erntebeginn gegolten. Doch die Änderungen der klimatischen Verhältnisse beeinflussen langsam auch den hiesigen Weinbau. Peter Märki, Geschäftsführer des neuen Weinbauzentrums in Wädenswil, nennt den Klimawandel als eine der grossen Herausforderungen der Branche. Vor allem für den Pinot noir könnte es in den Deutschschweiz «längerfristig eng werden». Denn die hierzulande beliebteste rote Sorte mag ein Klima, wie es im Burgund herrscht, ihrem Herkunftsgebiet, mit relativ kurzer Vegetationszeit, kalten Nächten und nicht zu viel Sonne. Im Wallis würden bereits Flächen reduziert, da sich kein aromatischer, spannender Blauburgunder mehr herstellen lasse.

Als mögliche Nachfolger handelt Märki die Bordeaux-Sorten Merlot oder Cabernet Sauvignon, die auf längere Vegetationszeiten angewiesen sind. Ein weiterer Kandidat ist für Märki auch der Divico – eine rote Sorte, die von der Forschungsanstalt Agroscope in Changins entwickelt wurde und in Wädenswil für die Deutschschweiz erforscht wird. 

Die Forschung ist ein wichtiges Standbein des Weinbauzentrums in Wädenswil, das Anfang Jahr nach einer turbulenten Gründungszeit seine Arbeit aufgenommen hat (siehe Kasten). Zum Beispiel wird in Wädenswil untersucht, wie die Reben auf unterschiedliche Einsätze von Pflanzenschutzmitteln reagieren oder welche am wenigsten anfällig sind für die Kirschessigfliege. Allgemein sei eine Erkenntnis dieses Sommers, dass dieser Schädling Hitze offenbar nicht gut aushalte, sagt Märki. Die Kirschessigfliege, die den Winzern in den vergangenen Jahren Kopfschmerzen bereitet hatte, richtete dieses Jahr kaum Schäden an.

Ein Schwerpunkt der Forschungstätigkeit liegt auf der Reduktion der Pflanzenschutzmittel, laut Märki eine zweite grosse Herausforderung für den lokalen Weinbau. Eine Reduktion werde nicht nur von den Konsumenten gewünscht, das Spritzen im Schutzanzug sei auch bei Winzern keine beliebte Arbeit und in steilen Reblagen zudem unfallträchtig. Eine Chance sieht er in neu gekreuzten, pilzresistenten Sorten wie – wieder – Divico. Denn diese sei nicht nur auf die hiesigen Böden und das hiesige Klima zugeschnitten, sondern müsse nur noch etwa zweimal behandelt werden statt sieben- bis neunmal wie andere. Was geschieht, wenn bei traditionellen Sorten auf den Mitteleinsatz verzichtet wird, zeigt übrigens die sogenannte Nullparzelle im Wädenswiler Rebberg: Fäulnis, verkümmerte Beeren wegen des Falschen Mehltaus sowie weissfleckige Blätter vom Echten sind die Folge. 

Weiter loten Märki und seine Mitarbeiter die Chancen von Roboterisierung und Digitalisierung aus. Zum Beispiel sind mit einem Hersteller Tests mit einem selbstfahrenden Mähfahrzeug geplant, das zwischen den Reihen Gras schneidet. Eine andere Firma entwickelt eine Drohne, die mit einer Spezialkamera nach Vorboten von Krankheiten, vor allem des Mehltaus, sucht. Grundsätzlich ist Märki aber noch zurückhaltend, was den Einsatz von Drohnen im Weinberg betrifft. In Gegenden wie der Westschweiz könnten sie den Helikopter für grossflächiges Spritzen ersetzen. In der Deutschschweiz seien sie noch keine grosse Hilfe, da sie nicht zwischen den Reihen fliegen könnten und die Traubenzone nicht erfassten. 

Gefordert werden die Weinbauern aber nicht nur von Natur und Technik, sondern auch vom Geschmack der Konsumenten. Der Weinkonsum geht seit Jahren konstant zurück. Das Weinbauzentrum reagiert unter anderem mit einem leichten Wein aus dem Eigenanbau, der ziemlich süss sein soll und einen Alkoholgehalt von nur 8,5 Prozent hat. Sein Name ist eine Hommage an den ersten Direktor der Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil, Hermann Müller, der dort vor rund hundert Jahren den Riesling-Sylvaner (heute: Müller-Thurgau) entwickelt hat: Er heisst Leichter Müller.

 

Bilder:

1. Peter Märki, Geschäftsführer des Weinbauzentrums Wädenswil.
2. Der heisse Sommer hat die roten Sorten auch in Wädenswil schneller wachsen lassen als gewöhnlich.
3. Der Wümmet beginnt dieses Jahr ausserordentlich früh. 

 

Aus der Not geboren

Die Gründung des Weinbauzentrums Wädenswil war vor allem eine Reaktion auf den Rückzug von Agroscope. Die landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes hatte sich auf Ende 2017 entschieden, den Weinbau in der Deutschschweiz nahezu vollständig aufzugeben und nur noch auf die Romandie zu setzen. Da der Deutschschweizer Branchenverband den traditionsreichen Standort Wädenswil nicht aufgeben wollte, wurde ein neues Weinbauzentrum gegründet. Dieses hat von Agroscope das freigestellte Personal, die Laboreinrichtungen, das Lager sowie die letztjährige Ernte übernommen. Das Zentrum hat drei Zweige. Der erste ist die angewandte Forschung, vor allem im Auftrag von Agroscope. Der zweite ist der Geschäftsbereich Analytik/Labor, wo für Weinproduzenten und -händler rund 2000 Weine auf Alkohol, Sulfat oder Restzucker analysiert und sensorisch beurteilt werden. Der dritte sind Weiterbildungskurse. Daneben stellt das Zentrum unter der Marke Dreistand, die am Donnerstag vorgestellt worden ist, eigenen Wein her. Der Markenname bezieht sich auf die drei Standorte Wädenswil Schloss, die Halbinsel Au und Sternenhalde Stäfa, wo auf einer Fläche von insgesamt zehn Hektaren die ehemaligen Versuchsanlagen von Agroscope und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) weiterbetrieben werden. Das Zentrum arbeitet eng mit dem Strickhof, dem kantonalen Amt für Landschaft und Natur, der ZHAW und Agroscope zusammen.