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Das schlimmste Jahr – Zürcher Winzer leiden

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Liliane Minor
Die Nacht vom 1. auf den 2. August werden die Weinbauern im Norden des Kantons nicht mehr vergessen.

Und dann kam der Hagelsturm. Dabei hatten sich die Reben im Kanton Zürich vielerorts erstaunlich gut von den Frostnächten Ende April erholt. Es sah fast so aus, als seien die Winzer noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Sie hätten es nötig gehabt; schon im Frühjahr 2016 hatte der Frost einen Teil der Ernte frühzeitig vernichtet.

Doch die Nacht vom 1. auf den 2. August brachte ein ausserordentlich heftiges Gewitter, das über den Norden des Kantons Zürich fegte, es zog vom Rafzerfeld über das Weinland in die Bodenseeregion. Meteo Schweiz registrierte Windböen bis 130 Stundenkilometer, einzelne private Stationen massen gar Spitzen von 170. Das sind Werte wie beim legendären Lothar, der am 26. Dezember 1999 ganze Wälder flach legte. Dazu kamen Rekordniederschläge. In Eschenz am Bodensee fielen innert 10 Minuten 36 Liter pro Quadratmeter. Wobei ein beträchtlicher Teil davon in Form von Hagel buchstäblich vom Himmel krachte. Bis 4 Zentimeter gross waren die Hagelkörner. Und sie waren vielerorts nicht rund, sondern geformt wie Linsen, was ihre Wucht verstärkte.

«Der Wind kam von allen Seiten.»

«Es war wie ein Hammerschlag», sagt Andreas Wirth, Rebbaukommissar am Strickhof. Er hat den Sturm miterlebt. «Der Wind kam von allen Seiten.» Andere, die in jener Nacht wach waren, sagen, das Heulen und Donnern würden sie nie mehr vergessen.

Knapp drei Wochen danach stehen wir in Waltalingen in einem Weinberg, der Karl Keller gehört. Gut fünf Hektaren Reben bewirtschaftet er. Der Sturm hat fast alles zerstört. «Noch am 31. Juli stand ich hier und dachte, wie schön das alles ist», erzählt Keller, «wie erstaunlich gut sich die Reben vom Frost erholt hatten.» Drei eiskalte Nächte lang hatte er Ende April die schon weit entwickelt Reben mit Feuer warm zu halten versucht. Hatte erst gedacht, es sei vergebens gewesen, aber dann wuchsen doch viel mehr Trauben als erwartet. «Wir hätten nahezu einen vollen Ertrag gehabt», sagt der Winzer. Jetzt ist die ganze Arbeit dahin. Die Reben haben fast kein Laub mehr. Kaum eine Traube ist unversehrt.

Alle Vögel sind weg

Welche Wucht der Sturm hatte, kann man im Stammertal noch immer gut sehen. Auf Maisfeldern stehen nur noch zerfetzte Stängel. Der Wind hat Dächer abgedeckt und Scheunen wie Kartonschachteln zerlegt. Viele Bäume sind kahl, andere geknickt, die Wipfel auf halber Höhe wie von einer Riesenhand einfach abgedreht. Singvögel gibt es fast keine mehr, verschwunden ist auch eine grosse Milan-Population.

Ganz so auffällig sind die Schäden im Rafzerfeld nicht, sieht man einmal von den Maisfeldern ab. Die Reben von Winzer Peter Baur tragen noch Laub, wenn auch nicht mehr viel. Aber auch sein Verlust ist gross. Hier, in Rafz, hat schon der Frost viel mehr zerstört als im Stammertal. Im Stammertal lag in den kältesten Nächten Nebel, der wirkte wie eine Decke. Nicht so in Rafz.

In Baurs Rebbergen gingen in jenen Nächten Ende April zwei Hektaren Reben kaputt. Diese Stöcke tragen zwar Blätter, aber keine Trauben. Auch seine übrigen Reben haben viel weniger Trauben gebildet als üblich, das fällt sogar dem Laien auf. Und auch hier hat die Hagelnacht den Trauben den Rest gegeben: braune Beeren überall. Stellenweise kann man in den Rafzer Weinbergen auf den Meter genau sehen, wo das Unwetter durchzog: Da hängen auf der einen Seite einer unsichtbaren Linie gesunde Trauben unter grünen Blättern, auf der andern Seite ist mehr als die Hälfte der Beeren zerschlagen.

Das schlimmste Jahr

Rund 400 Schadensmeldungen gingen nach dem 2. August bei der Hagelversicherung ein, mehr als ein Viertel davon kam von Winzern. Damit sind die Reben – neben Mais und Zuckerrüben – die am schwersten betroffenen Kulturen. 2017 ist für viele Winzer in der Region das schlechteste Jahr seit Menschengedenken. Mehr als 50 Jahre liegt der letzte schwere Hagelsturm zurück, zerstörerischen Frost gab es vor 2016 rund 30 Jahre lang keinen mehr.

Welches die Folgen der Unwetter sind, ist schwer abschätzbar, sagt Rebbaukommissar Wirth: «Aber für manche Winzer könnte es eng werden.» Ein mageres Jahr ertrage es, zwei hintereinander wie 2016 und 2017, das sei schwer verkraftbar. Kommt hinzu, dass viele Reben derart schwer verletzt sind, dass unklar ist, ob sie nächstes Jahr einen normalen Ertrag bringen. Klar ist auf jeden Fall, dass sie mehr Arbeit verursachen werden als üblich.

Zwar können die Winzer finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen. So können sie bei der Landwirtschaftlichen Kreditkasse des Kantons Zürich, aber auch beim nationalen Fondssuisse günstige Kredite aufnehmen. Auch die Hagelversicherung deckt einen Teil der Schäden. Was allerdings kein Kredit und keine Versicherung wettmachen könnten, das sei der drohende Verlust von Kunden in einem hart umkämpften Markt, sagt Wirth: «Viele unserer Winzer keltern selbst und verkaufen ihre Produkte an Private. Wer keinen Wein mehr liefern kann, ist schnell weg vom Markt.»

Grosse Solidarität

Das ist Karl Kellers grosse Sorge: «dass die Leute denken, wir hätten nicht genügend Wein». Dabei sind seine Keller gut gefüllt, der Wein von 2016, der jetzt in den Verkauf gelangt, sei «ein schöner Jahrgang». Und auch diesen Herbst werde er mit Sicherheit keltern können. Der Winzer hofft, dass die nächsten Wochen sonnig und warm genug werden, dass die zerschlagenen Beeren trocknen und abfallen, bevor sie die anderen mit Fäulnis und Pilzen anstecken können. Vor allem aber kann er dank der Hagelversicherung Trauben zukaufen. «Die Solidarität ist gross», sagt Keller – und das, obwohl heuer kein Winzer zu viele Trauben hat. Peter Baur hingegen muss das Jahr abhaken. Er hat keine Hagelversicherung. «Über die letzten zwanzig Jahre gesehen hätte sich diese für mich nicht gelohnt», sagt er. Wenn schon, dann hätte er eine Frostversicherung gebraucht, aber die sei unbezahlbar.

40 Prozent der Trauben hat er letztes Jahr verloren, dieses Jahr sind es deutlich mehr. Das bedeute einen «sicher sechsstelligen» Verlust. «Wir werden nun die Investitionen zurückfahren und ein bisschen von den Reserven leben», sagt er. Immerhin, Angst um die Kundschaft muss er nicht haben, Baur keltert nicht alles selbst, sondern verkauft einen grossen Teil seiner Trauben an zwei grosse Kellereien. Die sind im Moment um jede Lieferung froh. Und vielleicht wird 2018 ja wieder ein gutes Weinjahr. Ohne Frost und Hagel. (Tages-Anzeiger)