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Das Fundament guter Jahrgänge

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Nach zehn Jahren Arbeit liegt er vor: Der geologische Weinatlas der Schweiz.

Weinfreunde weisen mit Kennermine auf die mineralische Note eines Weins hin. Das heisst aber nicht, dass sie im Wein den Geschmack des Bodens erkosten konnten. Und doch: Der Boden, auf dem die Reben wachsen, hat einen direkten Einfluss auf den Wein. Dies kann man nun in einem 600-seitigen Buch nachlesen, welches 60 Geologen, Winzer, Önologen und andere Fachleute über den Schweizer Weinboden geschrieben haben.

Der Geologe Rainer Kündig wirkte als Chefredaktor des speziellen Weinatlasses und weiss, wie der Untergrund der Rebe den Charakter des Weins prägt. Er sagt: «Nehmen wir eine Schieferlage: Sie enthält sehr viele Tonmineralien und kann bei Regen viel Wasser speichern. Die Rebe wird durch das Gestein also reichlich mit für die Lage charakteristischen Nährstoffen versorgt, aber auch mit Wasser. Es verdunstet bei Trockenheit allmählich und prägt damit auch das Mikroklima des Rebbergs, das etwa über einem Kalkboden anders ist.» Diese spezifischen Interaktionen zwischen Geologie und Rebe seien wichtig, sie führten zum typischen Charakter eines Weins. «Der Stein macht den Unterschied», sagt Kündig, «Reben beispielsweise, denen viel Tonmineralien zur Verfügung stehen, ergeben kräftige, üppige Weine, die Fruchtigkeit ist im Hintergrund.»

Was kommt aus der Tiefe?

So trägt die Geologie zum Verständnis des Terroirs bei - ein von Weinkennern gebrauchter Begriff. Damit ist das Zusammenspiel von Boden, Klima, Topografie, Rebe und so weiter gemeint, aber auch die Kunst und Tradition des Winzers. Die Geologen haben den Begriff nun um die Faktoren Zeit und Tiefe erweitert: «Gesteine sind zu verschiedenen Zeiten und durch unterschiedliche Prozesse entstanden und haben in und unter den Rebbergen ein erdgeschichtliches Erbe hinterlassen», sagt Kündig. «Uns interessierte, was die Rebe aus der Tiefe bezieht und wie.»

Die Geologen, die das Buch initiiert haben, trinken auch mal ein gutes Glas Wein. In Gesprächen begründeten sie ihre Weinvorlieben geologisch und beschlossen schliesslich, den Zusammenhängen zwischen Stein und Wein systematischer nachzugehen. Die Sache erwies sich als komplexer, als die Fachleute zunächst angenommen hatten. «Bis wir das Buch und die regionalen Begleithefte vorlegen konnten, vergingen zehn Jahre», sagt Kündig.

Zum Hauptband von «Stein und Wein» gehören zehn Regionalhefte. Die Autoren teilten die Schweiz nicht wie bisher in sechs, sondern in zehn Weinanbaugebiete ein, und gewichteten das Mittelland und die Ostschweiz stärker. Die traditionelle Gliederung ist eher auf das Welschland fokussiert. Die Regionalhefte fassen die jeweils typischen geologischen Eigenarten der Region zusammen - Faktoren, die sich auf den Rebbau auswirken. Das Buch «Stein und Wein» und die Regionalhefte sind keine trockene Sache. Es werden Degustationsexperimente und -methoden beschrieben. Ein Wein wird auch visuell verortet, wie die aus dem Buch adaptierte, von Willi Finger entwickelte Grafik zuunterst auf dieser Seite zeigt. Zum gewählten Beispiel heisst es, Weine von Kalkböden würden oft als elegant empfunden, mit aromatischer Feinheit, aber einer markanten Säure. Überhaupt ist in dem enzyklopädischen Werk viel Wert gelegt worden auf Illustration und Visualisierung durch Bilder, Karten, Grafiken, Diagramme, Tabellen - und Comics.

Die Hefte, welche die einzelnen Regionen detailliert beschreiben, sind beispielsweise dem Mittelland, den Alpenrandseen, dem Chablais oder dem Balcon le'manique gewidmet. Die geologische Region Mittelland erstreckt sich vom Bodensee über Zürich bis gegen Bern, jene der Alpenrandseen vom unteren Rheintal über den Walenund den Vierwaldstättersee bis zu den Seen im Berner Oberland.

Der Schweizer Weinbau beansprucht eine kleine Fläche von knapp 15 000 Hektaren. Doch die geologischen Gegebenheiten sind äusserst vielfältig, oft auch sehr kleinräumig.

Buch ist auch ein Wanderführer

Wer die Regionalhefte als Reise- oder Wanderführer benutzen will, dem empfiehlt das Heft «Jura Nord» beispielsweise eine Wanderung auf der Nordseite des Surbtals von Endigen über Tegerfelden nach Döttingen und Klingnau am unteren Aarelauf. Sie führt über weite Strecken durch die Reben an den besonnten Südhängen und es öffnen sich immer wieder grandiose Ausblicke.

Geologisch gesehen werden 160 Millionen Jahre durchwandert. Das Heft zeigt, wie sich der Lauf der Aare in den letzten Jahrmillionen mehrmals änderte, oder wie Gletscher das untere Aaretal prägten und günstige Lagen für den Rebbau hinterliessen. Es werden immer wieder auch Weine aus der Region vorgestellt, etwa von der Reblage «Kloster Sion» in Klingnau auf Opalinuston. Dazu heisst es: «Die für die Versorgung der Rebpflanze günstigen Eigenschaften des Opalinustons im Zusammenspiel mit einer mikroklimatisch günstigen Lage führen zu einem sehr gehaltvollen Wein, der als kraftvoll, vollmundig und tiefgründig beschrieben wird.»