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Chandra Kurt oder Frau Chasselas

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Sébastien Ladermann
Die Weinexpertin Chandra Kurt, die vom Office des Vins Vaudois geehrt wurde, findet offizielle Anerkennung für ihre Leidenschaft und ihren Einsatz, was die emblematische Rebe des Kantons Waadt, nämlich den Chasselas, anbetrifft.

Es ist schwierig Chandra Kurt zwischen zwei Flugzeugen abzufangen. An einem Tag ein Ausflug nach Österreich, um die Reichtümer der Wachau zu erforschen, am nächsten geht es nach Shanghai, dem neuen Gravitationszentrum des Weinanbauplaneten. Hingegen scheint nichts im Werdegang dieser in Colombo (Sri Lanka) geborenen, 47-jährigen Zürcherin darauf hinzuweisen, dass sie die Päpstin der Weine in der Schweiz werden würde.

Exotische Kindheit

Ein auf Elefanten spezialisierter Vater erlaubt es ihr sehr früh Asien und Afrika zu entdecken. Im Verlauf der väterlichen Reiseabenteuer entwickelt sie eine Vorliebe für das Andere und Entdeckungsreisen. Aber es ist am Tisch ihrer italienischen Grosseltern von mütterlicher Seite, wo sie sich während der Ferien mit Wein vertraut macht. Jeder der beiden hatte seine Lieblingsflasche, je nach Geschmack: Pinot Grigio für la nonna, Lambrusco für il nonno, erinnert sie sich. Eine Initiation, die ihre Neugierde anregt.

Die Erforschung beginnt mit der Begegnung eines ersten Winzers und Nachbarn des Grundstücks, der ihr wiederum den Besuch eines Kollegen empfiehlt. Auf diese Weise erweitert sich der Kreis der Untersuchungen. Zu dieser Zeit hat sie nicht die geringste Absicht daraus einen Beruf zu machen. Politikwissenschaften und Geschichte in Lausanne, dann in Zürich, bevor sie alles abbricht, um sich dem Schreiben zu widmen, ihrer wahren damaligen Leidenschaft.

Bis zu dem Tag, an dem sich die Gelegenheit bietet über Wein zu schreiben; eine einzigartige Chance, die beiden Welten miteinander zu verbinden, was sie sich nicht erträumt hatte. Eine Spur, die sie von Anbaugebiet zu Anbaugebiet weiterverfolgt, wobei sie alle Facetten der jeweiligen Reben erforscht, die dort im Boden wurzeln. Zahlreiche Nachschlagewerke entstehen, darunter das berühmte „Chasselas - Von Féchy bis Dézaley - Eine Entdeckungsreise der Waadtländer Rebberge."

Eine pädagogische Leistung

Ihre Besonderheit? Es vermeiden in den für viele nicht feststellbaren Jargon des Spezialisten zu verfallen. Eine pädagogische Annäherung mit der ganzen Bescheidenheit, die dafür nötig ist. Das ist die Charakteristik von Chandra Kurt. „ Die Welt des Weins ist eine Welt der Unterschiede. Ob bescheiden, grossartig, berühmt, unbekannt, teuer oder billig, Weine bereichern sich an ihrer Verschiedenheit. Seit 28 Jahren arbeite ich auf diesem Sektor und kann dennoch nicht behaupten, dass „ich es weiss". Ich habe demzufolge niemanden zu belehren."

Eine Persönlichkeit, die in nichts den berühmten Gurus wie Robert Parker und Hugh Johnson ähnelt und die den Schatten der Keller dem Licht der Podeste vorzieht. Eine Persönlichkeit, die ausserdem eine einzigartige Zusammenarbeit mit Winzern eingeleitet hat, als zusätzliche Tätigkeit im Rahmen ihrer unersättliche Neugierde auf eine Welt ohne Grenzen. So ist vor einigen Jahren eine Sammlung von Weinen aus einer einzigen Rebsorte in Zusammenarbeit mit der berühmten Önologin Madeleine Gay entstanden. Mit welchem Ziel? Es geht darum auf klarste Weise die typischen Merkmale der heimischen Rebsorten des Wallis hervorzuheben.

Eine Art pädagogische Vorgehensweise, die sie anschliessend in einem anderen Rahmen auch auf den Chasselas anwendet. Das erklärte Ziel ist diesmal diese Rebe zu fördern, die, wenn sie sich auch als ein hervorragender Katalysator des jeweiligen Anbaugebietes erweist, doch wenig aromatisch bleibt. Eine Charakteristik, welche für einige an einen Mangel grenzt, in den Augen Chandra Kurt aber ganz und gar Gnade findet. Denn, wenn der Geschmack der Weinkonsumenten heutzutage sehr schnell zu mehr Kraft und Intensität tendiert, besonders in Form des steigenden Konsums von sehr süssen Produkten, so bietet die Fähigkeit des Chasselas, nämlich Finesse und Reinheit zu vereinen, erfreuliche Perspektiven.

Eine fortschreitende Leidenschaft

„Ich habe sehr lange gebraucht diese Rebe und ihre Lieblingsregion, den Kanton Waadt zu verstehen und zu schätzen", gibt sie bescheiden zu. Anstatt Liebe auf den ersten Blick zu erleben, entwickelt sich ihr Interesse für diese untypische Rebe nach und nach, bis sie zu einem wahren Favoriten wird. „ Man findet in der Welt des Weines praktisch kein Profil wie dieses mehr. Der Chasselas erlaubt die Unterschiede und Reichtümer der Anbaugebiete hervorzuheben, in denen er angebaut wird und bleibt trotzdem sehr zurückhaltend in seinem Ausdruck und leicht dazu."

Der Übergang von der (sehr) versierten Amateurin bis zur Botschafterin lag nahe und fand Anfang März statt: Seit sie zum Commandeur de l’ordre des vins vaudois ernannt wurde, träumt Chandra Kurt nun davon den Chasselas zur Ikone des helvetischen Weinbaus zu befördern. Denn in vielen Ländern fungiert eine Rebe oder eine stellvertretenden Region als Botschafter über die eigenen Grenzen hinaus, wie der Riesling für Deutschland, der Piemont und die Toskana für Italien oder auch Das Burgund , das Bordelais und die Champagne für Frankreich.

Einen gemeinsamen Nenner für den Schweizer Weinbau zu finden erweist sich allerdings als komplizierter. Dies liegt an der Fragmentierung der Gebiete sowie an der grossen Anzahl der angebauten Rebsorten. Eine Schwierigkeit, die aber Chandra Kurt keine Angst einjagt. „Auf nationaler Ebene ist es unmöglich eine einzige Region zum Nachteil der anderen zu bevorzugen. Die Lösung ist im pflanzlichen Element zu finden. Der Chassalas ist meiner Meinung nach eine aussergewöhnliche Gelegenheit eine Rebsorte hervorzuheben, die typisch für unser Land ist und das Mosaik der Gebiete darstellt, wobei er ausserdem in ausreichender Menge vorhanden ist, um der Nachfrage zu genügen."

Pierre Keller ist begeistert

Eine Zielsetzung, die natürlich den lebhaften Präsidenten des Office des vins vaudois, Pierre Keller, begeistert mit der Überzeugung, dass die Fahne des Schweizer Weinbaus hoch über der internationalen Szene wehen sollte. „ Wenn wir dem Ausland ein klar lesbares Bild zeigen möchten, dürfen wir uns nicht verzetteln. In form des Chasselas verfügt die Schweiz über ein wirklich einzigartiges Produkt, was praktisch nur in unserem Land produziert wird. Wir sollten davon profitieren!"

Nach ihrer Rückkehr aus Shanghai wird Chandra Kurt ihren Zürcher Wohnsitz aufsuchen und sicher eine Menge Ideen und neue Perspektiven mitbringen. Aber, wie nach jeder Reise, wird sie zuerst ein Flasche Chasselas entkorken. „ In einer sich ständig weiterentwickelnden und immer komplexeren Welt verkörpert der Chasselas für mich eine Art wesentliche Einfachheit."

 

Profil
  • 1968 / Geburt in Colombo in Sri Lanka.
  • 2005 / Verantwortliche für den helvetischen Teil des „Oxford Companion on Wine" von Jannis Robinson.
  • 2012 / Beginn eines dokumentarischen Projekts der Beschreibung von Schweizer Weinen in Zusammenarbeit mit der Fotografin Patricia von Ah.
  • 2014 / Erscheinen ihres Buches „Von Féchy bis Dézaley " bei Orell Füssli in Zürich.