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Biovision 2020 von graubündenWEIN – der Schritt in eine nachhaltige Zukunft

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Text: Gian Carlo Casparis, Foto: Christian Obrecht
Biologische Lebensmittel haben längst einen festen Platz in Schweizer Küchen erobert, die Regale der Grossverteiler sind damit prall gefüllt. Kurz gesagt, Herr und Frau Schweizer sind überaus bio-affin, die Konzerne tun ihr Übriges dazu – und dies höchst erfolgreich. Generell werden in der Landwirtschaft bereits knapp 13% der Flächen nach biologischen Kriterien bewirtschaftet und der Zuwachs an weiteren Flächen scheint ungebrochen. Doch wie sieht die Situation eigentlich im Helvetischen Weinbau aus?

 

Biologischer Weinbau in der Schweiz

Noch hat der biologische Weinbau in der Schweiz nicht die gleiche Zuwachsrate wie in der Landwirtschaft. Aber die Flächen wachsen stetig an und viele Weinbauern überlegen sich die Umstellung hin zum biologischen Weinbau. Heute (Stand 2016) werden in der Schweiz ungefähr 421 Hektaren Rebflächen nach biologischen Richtlinien angebaut, fast doppelt so viel wie noch vor 10 Jahren (240 ha, Stand 2006). Angesichts der 15'000 Hektaren Rebland insgesamt, erscheint die Zahl verschwindend klein. Unter den Winzern scheint sich der Wunsch vom umweltschonenden Weinbau allmählich übergreifend zu verbreiten. Aufgrund der regenreichen Sommer in unserem Land, sind die Reben einem hohen Risiko von diversen Infektionen und Mehltau betroffen, was die biologische Bewirtschaftung herausfordernd gestalten kann. Aber das Wachstum scheint ungebrochen. Vor allem in der Romandie und der Bündner Herrschaft formieren sich die Winzer und Weinbauern, um frischen Wind in den Rebbau zu bringen.

 

Biovision 2020

Besonders ehrgeizige Ziele peilt der Branchenverband graubündenWEIN an. Mit dem kürzlich geschaffenen Programm „grWEIN Biovision 2020“ wurde das zurzeit wohl ehrgeizigste Projekt im Schweizer Rebbau ins Leben gerufen. Obwohl der Bündner Rebbau mit 7% bereits einen überdurchschnittlichen Anteil an biologisch bewirtschafteter Flächen besitzt, wurde die Vision festgelegt, bis 2020 den Anteil auf 60% zu erhöhen. Ein wahrlich ambitioniertes Ziel, welches als Vision zu deuten ist und den Nerv der Zeit trifft, eine Signalwirkung weit über die regionalen Grenzen ausstrahlt und schliesslich der Qualität des Weins und der Nachhaltigkeit der bewirtschafteten Flächen zu Gute kommt.

Den Grundstein der Biovision 2020 legten im Jahr 2013/14 vier renommierte Bündner Weinbaubetriebe (Georg Fromm, Jan Luzi, Francisca & Christian Obrecht und Peter Wegelin). Obwohl bereits in den siebziger Jahren die Malanser Winzer Anti Boner, Godi Clavadetscher, Louis Liesch und Heiri Müller die Umstellung auf den biologischen oder biodynamischen Rebbau wagten, löste die Entscheidung der 4 Winzer im 2013/14 einige hitzige Diskussionen aus. Angesichts der aktuellen und langfristigen Aktualität des Themas, initiierte die Geschäftsleitung von graubündenWEIN im Frühling 2016 die „grWEIN Biovision 2020“. Die Ausarbeitung erfolgte im Winter 2016/17 durch ein 10-köpfiges Gremium. Die Winzer und Winzerinnen der Arbeitsgruppe (Georg Fromm, Manfred Meier, Francisca Obrecht, Uwe Schneider, Markus Stäger, Peter Wegelin) wurden unterstützt durch den kantonalen Rebbaukommissär Hans Jüstrich, dem Bioberater des Plantahofs Martin Roth, sowie Vertretern von Graubündens Bioorganisation „Bio Grischun und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick (AG)“.

 

Für Natur, Mensch und Wein

Die Gründe, wieso die Bioagenda 2020 genau das Richtige für die Bündner Herrschaft sein soll, formuliert die Arbeitsgruppe wie folgt: Für Natur, Mensch und Wein.

Die Reblandschaft soll wieder in ihrer Ursprünglichkeit bewirtschaftet werden. Ein sorgfältiger Umgang mit der Umwelt, das Bewusstsein für die ökologischen Zusammenhänge und Kreisläufe und der gezielte Einsatz von biologischen Pflanzenschutzmitteln sind grundsätzlich die Basis eines nachhaltigen Weinbaus.

In zweiter Linie geht es um den Austausch unter den Weinbaubetrieben. Die Herausforderungen im Bioweinbau führen zwangsläufig zu einem Erfahrungsaustausch im Rebberg und im Keller.

Ein weiterer, wichtiger Grund dreht sich um die Qualität des Weins.

Graubünden ist ein verhältnismässig kleines Weinbaugebiet mit einem hochwertigen Image. Es sollte selbstverständlich sein, dass bei der Herstellung solcher Premium-Produkte der Natur höchster Respekt im Anbau und Unterhalt gebührt.

Im besten Falle werden Weine entstehen, die sich durch eine einzigartige Terroir-Typizität auszeichnen, ein Abbild des Ortes, an dem die Reben wachsen und von den Menschen, welche die Reben bewirtschaften.

 

Umsetzung und Information

Die Arbeitsgruppe Biovision2020 hat einen Massnahmenkatalog zur Realisierung erarbeitet. Entgegen der eidgenössischen Praxis, wird die Umstellung auf biologischen Weinbau nicht umfänglich subventioniert. Für diesen gewagten Schritt entschied sich das Gremium aus der Überzeugung, dass die drei obengenannten Gründe und nicht die finanziellen Anreize die Rebleute dazu bewegen soll, sich nachhaltig mit der Thematik und deren Umsetzung auseinanderzusetzen.

Diese Auseinandersetzung wird vom Branchenverband eng betreut und begleitet.

Schulungen und Informationsanlässe sollen das nötige Know-How vermitteln und als Plattform für den Erfahrungsaustausch fungieren. Ausserdem wird ein Umstellungsleitfaden erstellt und ganz wichtig, pro Rebbaugemeinde soll je eine öffentlich zugängliche Muster- beziehungsweise Besichtigungsparzelle entstehen. Des Weiteren wird sich der Plantahof und auch der Rebbaukommissär um diversifizierte Aus- und Weiterbildungsangebote für die Weinbaubetriebe engagieren.

 

Hürden zur Zertifizierung

Im Kanton Graubünden arbeiten 205 Klein- und Kleinstbetriebe mit Rebflächen von weniger als einer Hektare. Um die rechtlichen und administrativen Anforderungen zu vereinfachen, sind für diese Betriebe Gruppen- oder Regionen-Zertifizierungen vorgesehen.

Etwas schwieriger gestaltet sich die Umstellung bei den Traubenproduzenten, welche Ihre Erzeugnisse bislang weiterverkauft haben. Aufgrund des Klumpenrisikos wurde gezielt darauf geachtet, das Traubengut an verschiedene Abnehmer zu verkaufen.

Stellt nun ein Winzer seine Produktion auf Bio um, braucht dieser, um die Produktion auszulasten, zusätzliches Traubengut. Dieses muss, um die Zertifizierung halten zu können, ebenfalls biologisch erzeugt worden sein. Falls der Produzent sich dazu entscheidet, muss er jedoch seinen gesamten Betrieb auf die biologische Herstellung umstellen. Nicht alle Abnehmer sind bereit die Mehrkosten für Bio zu zahlen. Somit könnte der Traubenproduzent als direkte Auswirkung einem erhöhten Klumpenrisiko ausgesetzt sein.

Falls der Produzent nur bereit ist, einen Teil seiner Flächen umzustellen, so verstösst dies aktuell gegen die sogenannte Gesamtbetrieblichkeit, eine Richtlinie zur Vergabe eines Bio-Labels. Angesichts der Tatsache, dass 41.4 % der geernteten Trauben in den Traubenhandel gelangt sind, ist dies ein schwieriges, aber nicht unüberwindbares Problem. Die Arbeitsgruppe Biovision 2020 wird das Gespräch mit der Richtlinienkommission von Biosuisse suchen, um angesichts der wirtschaftlichen Tragweite einen möglichen Kompromiss auszuarbeiten.

 

Von der Vision zur Wirklichkeit

Das Vorhaben ist zwar erst eine Vision, besitzt aber die Anlagen, um Wirklichkeit zu werden.

Gelingt es den Initianten und dem Branchenverband, den Winzerinnen und Winzern die moderne Art des biologischen Weinbaus zu vermitteln, so kann dieses Projekt der Natur, der Region und schliesslich auch den Weinen einen unheimlichen Aufschwung bescheren.

Im April 2017 wurde diese Grundsatzdiskussion an der Generalversammlung von graubündenWEIN wiederum thematisiert. Es bleibt spannend. Wie sollen die aktuellen Schwierigkeiten beseitigt werden und vor allem, wie werden die total 339 Rebflächenbewirtschafter auf die Biovision reagieren? Gemäss Francisca Obrecht vom Weingut zur Sonne in Jenins und Mitglied der Arbeitsgruppe Biovision 2020, ist der rege Austausch unter den Mitgliedern der beste Nährboden für Ideen und Taten und zugleich werden dadurch Ängste und Unsicherheiten, wo keine sein müssten, abgebaut.

Die Vision der Bündner Winzer und Winzerinnen setzt auf jeden Fall ein positives Zeichen für den Schweizer Weinbau im Allgemeinen und wird das Image Graubündens überregional prägen.