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Wein-Degustator Stephan Reinhardt

Quelle /
Michael Merz

«Mehr als 30 Weine am Tag schaff ich nicht»

«The Wine Advocate» ist die einflussreichste Wein-Zeitschrift der Welt. Und nur einer testet Schweizer Weine. Stephan Reinhardt über Wein, der sich entwickeln muss, seinen liebsten Weissen und die Schweizer Weinkultur.

BLICK: Wann ist Ihnen klar geworden, dass Wein etwas Besonderes sein kann?

Stephan Reinhardt: Nicht im Elternhaus. Man trank Wein aus der Nähe: sehr dünn, sehr sauer, sehr trocken. Auf dem Etikett stand: gesund. Diabetiker geeignet. Angesprochen hat mich das nicht. Später dann schon weil ich als Student als Weinverkäufer jobbte. Da gab es einen Sauvignon blanc aus dem Bordeaux. Er kostete zehn oder zwölf Deutsche Mark, und ich fand ihn ganz toll.

Schon waren Sie ein Weinfreak.
Zumindest interessierte mich von da an Wein. Der Vergleich unter den 200 Weinen des Ladens hat mich fasziniert. Ich begann zu reisen, sprach mit Winzern und schrieb darüber.

Wie lange ging es, bis sie diese Eindrücke auch vergleichen konnten?
Schwer zu sagen, weil man ja nie alles kennt. Weinkenntnisse sind ein laufender Prozess. Dass ich bestimmte Jahrgänge einfach abrufen könnte…? Darin bin ich gar nicht gut. Dafür hat mein Kopf keine Festplatte.

Trotzdem rief Sie eines Tages der legendäre «Wine Advocate» von Robert Parker an!
Ich hatte für die «Süddeutsche» und «Die Welt» geschrieben, auch für «Wein-Wisser» und «Vinum». Eines Tages bekam ich ein E-Mail, in der sich der «Wine-Advocate» vorstellte. Wer sie sind. Was sie machen. Ob ich Interesse hätte? Das fand ich dann doch sehr amüsant.

Geben Sie es zu: Sie hatten ein Glücksgefühl.
Na …

Ein erhebendes Gefühl?
Nicht mal das. Ich hatte nämlich in genau diesem Moment überlegt, ein, zwei Schritte vom Weinjournalismus zurückzutreten. Ich las das Mail und dachte: Mist, das kannst du einfach nicht ablehnen!

Und so degustieren Sie jetzt. Tag um Tag. Sieben Tage in der Woche. Rund ums Jahr.
Ich habe einen Vertrag und damit ein Programm. Es müssen 3500 Weine im Jahr verkostet werden. Wobei ich doch deutlich darüber liege. Wichtig ist auch: Ich verkoste langsam. Mehr als 30 Weine am Tag schaffe ich nicht.

Der Drei-Sterne-Koch Georges Blanc verkostete 40 Beaujolais in 15 Minuten …
Meine Art ist das nicht. Ich brauche Zeit, und manche Weine nehme ich mir am nächsten Tag erneut vor. Etwa Loire-Weine. Ein Gebiet, das zu meinen Verkostungsaufgaben gehört. Ich öffne also die Flasche, aber der Wein ist noch vernagelt und verschlossen. Er funktioniert einfach nicht im Mund! So ein Wein braucht Pflege. Ein grosses Glas. Er will dekantiert werden. Aber dann …

So kommen dann die begehrten Parker-Punkte zusammen.
In drei Minuten jedenfalls nicht! Man muss einem Wein die Chance geben, sich von ihm verführen lassen. Besser noch: Der Wein muss zu einem sprechen. Ärgerlich, wenn man diesen Moment verpasst!

Nun ist Parker eine Marketing-Maschine, eine Marktkraft. Kann man da überhaupt noch unbeeinflusst bewerten?
Ich lasse mich nicht beeinflussen. Und meine Kollegen mit Sicherheit auch nicht.
Ihr Gebiet sind Deutschland, die Loire, das Elsass, Österreich, die Champagne, dazu die Schweiz. Wie viele Schweizer Weine degustieren Sie denn?

Eine sehr überschaubare Zahl. 50 Stück. Fast schon ein Witz.
Na ja. Die Schweiz kennt keine grossen Weingüter. Die Händler führen die Weine nicht gerne, weil die Menge klein und die Marge lächerlich ist.
Das alles lässt sich nicht leugnen und doch: Die Weinkultur in der Schweiz ist so viel höher und raffinierter als etwa jene Deutschlands. Dazu haben wir mehr Schweizer als deutsche Leser. In ihrem Land bekommt man in jedem Lokal einen gescheiten Wein. In Deutschland sieht man selbst in der Sterne-Gastronomie viele Biergläser auf den Tischen. Nein. Parker und ich sind in der Schweiz am richtigen Ort.

Haben Sie denn einen Lieblingswein?
Den weissen Hermitage 2015 den Marie-Therèse Chappaz im Wallis aus der Marsanne-Traube keltert. Der hat mich umgehauen. Reichhaltig. Konzentriert. Mit einer Lebendigkeit! Aber nie aufdringlich. Der liefert und liefert. Ein grosser Wein.

Und rot?
Es wird wohl ein Pinot Noir sein … Allerdings fällt mir erst ein Merlot von Christian Zündel aus dem Tessin ein. In der Nase und im Mund: Reine Kirsche. So frisch. Ein faszinierender Wein.

… und Pinot Noir?
Da denke ich sofort an Georg Fromm aus Malans GR. Und damit an das grosse Schweizer Weinproblem: Die Menge. Bis ich meine Bewertungen von so einem Wein publiziere, sind die wenigen Flaschen längst weg. Trotzdem: Es sind tolle, faszinierende Weine. Auch jene von Tom Litwan aus Schinznach AG. Da ist einer, der vertraut seinem Traum. Das sind wunderbar filigrane, finessenreiche und bekömmlich Pinots. Wenn man dann noch seinen Schaumwein verkostet … Ich denk, ich trink Champagner. Extra brut. Gross!

 

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Wer ist Stephan Reinhardt?

Stephan Reinhardt (49) ist offizieller Parker-Degustator für die Schweiz. Bei «Robert Parker A Matter of Taste» leitet er am 4. und 5. Februar 2017 einen Teil der Degustationen. Diese finden im Dolder Grand Hotel in Zürich statt. Es werden über 450 Weine mit Parker-Notierungen von 90 bis 100 Punkten verkostet. www.a-matter-of-taste.com

Robert Parker, Sieger nach Punkten

Robert Parker (70) bewertet seit gut 30 Jahren die grossen Weine der Welt. Er und seine Testcrew zeichnen diese mit bis zu 100 Punkten aus. Erreichen Weine über 90 Punkte, ist ihr Verkaufserfolg garantiert. Liegt ein Wein unter 80 Punkten, wird er kaum mehr beachtet. Klar ist, dass ein Teil der Weinspekulation (vor allem jene um Bordeaux-Weine) eng mit Parker-Punkten zusammenhängt. Ein ganzes Kundensegment kauft heute nur nach diesen Bewertungen Weine, ohne diese vorher zu degustieren. «The Wine Advocate», das Branchenblatt Parkers, erscheint alle zwei Monate. Es hat eine Auflage um die 45'000 Exemplare.