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In vino veritas

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Claudia Wirz
Wer meint, nur der Staat reguliere die Wirtschaft, täuscht sich. Auch die Kirche betätigt sich als Regulator, im Falle des Messweins zum Nachteil einheimischer Produzenten.

Das Lebensmittelrecht ist keineswegs das ausschliessliche Privileg des Staates. Auch die Kirche betätigt sich in diesem Bereich als Regulator. Wo sich die Politik in der Sorge um die Volksgesundheit zum Beispiel um Alkoholprävention und die Förderung gesunder Kost kümmert, befasst sich das Kirchenrecht im Sinne der liturgischen Reinheit mit der Qualität von Wein und Hostien.

«Vinum debet esse naturale de genimine vitis et non corruptum», lautet die Losung für einen guten Tropfen im liturgischen Sinn. Der Wein, genauer gesagt Messwein, muss demnach naturrein und aus Weintrauben gewonnen und darf nicht verdorben sein. So schreibt es das Kirchenrecht vor. Etwas genauer formuliert es die Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch: «Der Wein für die Eucharistiefeier muss ‹vom Gewächs des Weinstockes› (Lukas 22, 18) stammen» und naturrein, das heisst, ohne Beimischung von Fremdstoffen sein, wie beim Liturgischen Institut, einem «Kompetenzzentrum für Gottesdienstfragen», zu erfahren ist. Das tönt zweifelsfrei vernünftig. Wer würde es schon gutheissen, dass ein Messwein, wie es einst offenbar gang und gäbe war, gepanscht, gestreckt, gewürzt oder mit Honig gesüsst würde?

Diese vernünftige Regelung hat allerdings einen Haken. Sie ist erstens ziemlich überholt, da längst Gesetze und Verordnungen des säkularen Staats das Zepter übernommen haben und für eine tadellose Qualität der Qualitätsweine sorgen. Allerlei betrügerisch Gepanschtes, Gestrecktes, Gewürztes und Gesüsstes ist damit weitgehend ausgemerzt. Das sieht durchaus auch das Liturgische Institut so und stellt fest, dass heute jeder Qualitätswein – ob weiss, ob rot – zum Messwein taugt, also auch Schweizer Qualitätswein.

Doch das ist zweitens zu einem guten Teil erst graue Theorie. Was ein Messwein sein darf und was nicht, bestimmt nämlich der Bischof. Auch heute kann Wein durchaus mit Fremdstoffen verbessert werden, was dem kirchlichen Prinzip der Naturreinheit entgegenstehen könnte. Gegenwärtig keltern in der Schweiz nur drei Produzenten mit bischöflichem Segen: das Kloster Einsiedeln, ein Produzent im Wallis und seit 2012 ein Weingut in Steckborn.

Deshalb wird in Schweizer Gottesdiensten in der Regel viel spanischer und italienischer Wein getrunken, selbst in von Reben umrankten Gotteshäusern. Wie eine unlängst durchgeführte, zwar nicht repräsentative, aber dennoch aufschlussreiche Umfrage des Kirchenmagazins «Horizonte Aargau» zeigte, verwendet die eine Hälfte der angefragten Pfarreien offiziell approbierten Messwein aus Italien oder Spanien, der süsse spanische Moscatel San Pedro zu knapp 6 Fr. pro Halbliter entpuppte sich dabei als wahrer Renner. Die andere Hälfte verwendete meist «normalen» Weisswein aus der Region, durchaus im Wissen um kirchliche Vorschriften, aber auch um das Fehlen von bischöflichen Kontrollen und den ökologischen Vorteil der kurzen Wege.

Im Aargau, immerhin viertgrösster Weinbaukanton der Deutschschweiz, will sich die Branche nun um eine Zertifizierung beim Bischof bemühen; offenbar hat man auf diesen Absatzkanal ein Auge geworfen. Das Ganze wirkt dennoch wie aus einer anderen Zeit. Während sich die Bischofskonferenz in Deutschland schon seit 2014 auf das deutsche Weinrecht für Qualitätsweine verlässt und die Approbation von Messweinlieferanten abgeschafft hat, beschäftigt sich Rom mit der Regulierung von glutenfreien Hostien und Fragen um Gentechweizen. Die Zeit bleibt eben auch in der Ewigen Stadt nicht stehen.