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Zwischen Wirtschaftlichkeit und Tourismus

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Anne Welkener
Im Spiezer Rebbau muss eine schwierige Gratwanderung geschafft werden: Die Rentabilität des Betriebes und dessen Rolle für den Fremdenverkehr widersprechen sich teilweise. Chefin Ursula Irion erläutert, wo sie die Prioritäten setzt und welche Rolle die Rebbau-Genossenschaft in der Gemeinde und der Region einnimmt.

Im Kanton Bern wird auf einer Fläche von 240 Hektar Wein angebaut. Knapp 20 Hektar liegen rund um den Thunersee, davon wiederum wird mehr als die Hälfte von der Rebbau-Genossenschaft Spiez bewirtschaftet. 11,5 Hektar ist dieses zweitgrösste Weinanbaugebiet des Kantons gross. Neben den zwei kleinen Aussengebieten «Richti» in Spiezwiler (1,1 Hektar) und «Chummli» in Faulensee (1,8 Hektar) macht das Hauptanbaugebiet am Spiezberg, rund um Bucht und Schloss, den grössten Anteil aus. «Der grösste Teil des Landes, das wir bewirtschaften, ist Pachtland», erklärt Ursula Irion, seit Juli 2013 Betriebsleiterin. Die Rebbaugenossenschaft besitzt selbst nur zwei Hektar, der grosse Rest der Fläche wird vom Staat Bern, der Gemeinde und zahlreichen Grundeigentümern gepachtet.

«Kleine Rebbautraktörchen»

Sieben Mitarbeiter gehören zum Betrieb, in der Erntezeit wächst die Zahl auf 40 Personen an. Die Pflege der Reben ist in Spiez sehr aufwändig. «Wir haben hier eine arbeitsintensive Kultur», so Irion. Es fallen jährlich 700 bis 1000 Arbeitsstunden pro Hektar an. In der Pfalz, wo mit grösseren Maschinen effizienter gearbeitet werden könne, würden nur 150 bis 200 Stunden gebraucht, weiss die Betriebsleiterin. So grosse Maschinen sind aber am Spiezberg nicht einsetzbar. Die Steilheit aber vor allem auch die Kleinräumigkeit machen das unmöglich. Stattdessen sind «kleine Rebbautraktörchen» im Einsatz, wie Irion schmunzelnd sagt. In deutschen Anbaugebieten falle eine solche Maschine wohl in die Kategorie «Spiezeug». Bei der Spiezer Parzellengrösse, den vielen Mauern, Hecken und Wanderwegen sei das aber die einzige Lösung.

Tourismus versus Wirtschaftlichkeit

Die Reblandschaft ist mit ihrer prominenten Lage bei der Bucht ein wichtiges Naherholungsgebiet der Region. Die parkähnlichen Anlagen sind das ganze Jahr frei zugänglich, stehen Wanderern, Pilgern, Joggern und Spaziergängern jederzeit offen. Das sei früher wegen des Mundraubes anders gewesen, erinnert sich Irion. Man habe sich aber bewusst für die Öffnung entschieden. Das hat jedoch seinen Preis: «Die Wanderwege sind eine Zäsur für unsere Effizienz. Der Tourismus, von dem die Bevölkerung profitiert, steht im Gegensatz zu unserer Wirtschaftlichkeit. Je kleiner die Parzellen, desto poetischer und ästhetischer ist die Landschaft, aber für Weinbauern ist es umso schwieriger, darin rentabel zu wirtschaften.»

Vorreiterrolle

Die Kleinräumigkeit sei ein landschaftlicher Wert, dafür werde Tribut gezahlt, bringt es Irion auf den Punkt. Die dadurch höheren Produktionskosten müssen über das Produkt gedeckt werden. Ihr geht es nicht allein um die Wirtschaftlichkeit des Betriebes, sondern auch um dessen Bedeutung in der Region – als Arbeitgeber und als charaktergebendes Element der Gemeinde: «Wir versuchen nicht nur über die Landschaft und den Wein ein Mehrwehrt für die Region zu sein. Als grösster Betrieb haben wir auch eine verpflichtende Vorreiterrolle.»

Nachhaltigkeit schmecken

Bei diesem ganzheitlichen Ansatz ist es nur konsequent, der ökologischen Produktion grosses Gewicht zu geben. Nachhaltigkeit solle nicht nur als Modewort verwendet, sondern ernst genommen werden, so Irion. Seit diesem Jahr arbeitet die Rebbau-Genossenschaft glyphosatfrei, versucht sich mit zwei Parzellen sogar an der biologisch-biodynamischen Bewirtschaftung. «Ich bin überzeugt, dass ein nachhaltig gemachter Wein ein Mehrwert für den ganzen Ort und die ganze Region ist – und er schmeckt auch ganz anders.»

Hagelschaden

Vor der jetzigen Phase der Rebblüte war das Wetter dem Spiezer Rebbau-Team nicht hold. Der Hagel vor einigen Wochen hat viele Haupttriebe abgeschlagen und damit streckenweise Verluste von 50 Prozent verursacht. Das bedeutet zwar mehr Arbeit, muss aber keinen Einfluss auf die Qualität des Weines haben, macht Ursula Irion deutlich. Die Nebentriebe müssen nun die abgeschlagenen Haupttriebe ersetzen. Das sei Stress für die Pflanzen, aber sie hätten ein so hohes Regenerationspotenzial, dass die Betriebsleiterin trotzdem auf einen guten Jahrgang hofft. Sie erinnert sich an 2009, als zur gleichen Jahreszeit starker Hagel zu einem Ausfall von 70 bis 90 Prozent geführt hat und trotzdem eine Spitzenqualität erreicht wurde. 

Aroma der Region

Wie der Jahrgang 2016 schmecken wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersagen. Erst im Herbst, konkret in den letzten zehn bis 14 Tagen der Reife, werden die Aromen gebildet. Damit es ein Spitzenjahrgang wird, braucht es laut Irion einen trockenen, warmen Herbst. Und was schmeckt man grundsätzlich aus dem Spiezer heraus? «Das ist unsere Idee: ein Glas Wein, das ein Abbild von unserer Region, unserer Kultur und Philosophie ist. Alpine Weinkultur, wie wir sie verstehen, bedeutet, frische, freche, aromatisch-elegante Weine zu keltern.»