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Grenzenloser Genuss: Regio Basiliensis

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Martin Kilchmann, Fotos: Andreas Gerhardt, Thomas Ruf
Basel hat nicht nur kulturell viel zu bieten. Am Rheinknie keltern in Baselland, Basel-Stadt und im angrenzenden Marktgräflerland ehrgeizige Winzer von Jahr zu Jahr bessere Weine.

Meine Studentenzeit verbrachte ich in Basel. An schönen Wochenenden radelten wir zum Essen und Trinken ins nahe Sundgau. Wir aßen Münsterkäse und tranken billigen weißen Edelzwicker. Nie wäre uns eingefallen, über die deutsche Grenze zu den Marktgräflerweinen zu fahren. Sie standen unter Süßverdacht. Wein aus der Basler Landschaft genossen wir einzig in den seltenen Sternstunden, in denen wir uns ein Essen bei der begnadeten Köchin Josy Nussbaumer leisten konnten, zu denen uns ihr Mann Kurt Nussbaumer seine vortrefflichen Kluser Eigenbauweine kredenzte. Tempi passati. Würde ich heute in Basel studieren, lockten andere Ausflugsziele als das ins Abseits geratene Sundgau.

Begeben wir uns also auf eine neue Weinreise in fünf Etappen rund um die Stadt Basel. Erstes Etappenziel ist das Weingut Tschäpperli in der hinteren Klus in Aesch. Das Tal verengt sich zusehends, bis nach einer Waldpassage die 3,5 Hektar Steillagen mit Winzerhaus und Keller auftauchen. Wir befinden uns in einer friedvollen Idylle. Lärm und Hektik von Stadt und Agglomeration sind wie weggefiltert. Das Weingut, benannt nach einer Ruine aus dem 14. Jahrhundert, ist seit 1619 in Besitz der Familie von Blarer. Der heutige Inhaber Dieter von Blarer, früherer Ombudsmann der Stadt Basel, wohnt oben am Waldrand. Das Betriebsgebäude am Fuße der begrünten Rebberge bewohnen Ueli und Barbara Bänninger. Ueli Bänninger ist seit dreißig Jahren für das Weingut verantwortlich. Er bewirtschaftet es naturnah. Fünfzig Prozent der Fläche sind mit Blauburgunder bepflanzt. »Ich liebe sortentypische, elegante, frische Weine ohne aufdringliche Holzprägung«, sagt er. Morgensonne und relativ kühle, hohe Lagen (430 bis 500 Meter) kommen der gewünschten Stilistik entgegen.

Bänninger erzeugt gradlinige, schnörkellose Weine. Am besten gefallen mir Pinot Gris und Pinot Noir Barrique, der aus fünfzigjährigen Rebstöcken gekeltert wird. Die zweite Etappe führt nach Muttenz, dem hinter Aesch zweitgrößten Winzerdorf des Unterbaselbiets. »Local Hero« Urs Jauslin kultiviert am Südhang des Muttenzer Wartenbergs auf kalkigen und tonigen Böden 6,5 Hektar Reben, hauptsächlich Gutedel und Pinot Noir, aber auch Pinot Gris und Sauvignon Blanc. Jauslin, eloquent und red­selig, streicht die Vorzüge seiner Weinberge heraus: »Das milde Klima der Rheinhochebene zwischen Vogesen, Schwarzwald und Vorjura begünstigt uns. Mit 700 mm regnet es mäßig. Hagel und Nebel sind praktisch inexistent.« Die Klimaerwärmung wird positiv wahrgenommen. »Früher dachte man bei Wein nicht an Basel. Jetzt können wir auch mit der Bündner Herrschaft mithalten.« Urs und Regula Jauslin feiern in diesem Jahr ihr fünfzigjähriges Betriebsjubiläum. Den Geburtstag nahmen sie zum Anlass, den Betriebsnamen auf »Weingut Jauslin« zu ändern und die Prestige-Linie neu zu konfektionieren. Sie erhielten dafür beim »German Design Award 2016« die Auszeichnung »Special Mention« in der Kategorie »Excellent Communications Design«. Preise heimsen auch die Weine ein. Allen voran der Pinot Noir Hohle Gasse, der regelmäßig am »Mondial du Pinot« der Vinea brilliert. Urs Jauslin konnte den Wein in den letzten Jahren stilistisch verfeinern. Störte früher häufig eine phenolische Note und suboptimal verdautes Holz, hat die Hohle Gasse heute bei aller Konzentration und stofflichen Dichte an Frucht und Finesse zugelegt.

Junger Wein mit Zukunft

Auf dem Weg zum dritten Etappenhalt durchqueren wir Basel und besuchen im baselstädtischen Vorort Riehen Thomas Jost. Mit seinen 28 Jahren steht der aus dem Fricktal stammende Winzer für die jüngste Erfolgsgeschichte des Weinbaus im Dreiländereck. 2013 schrieb der Gemeinderat Riehen die 3,3 Hektar große Rebparzelle am Riehener Schlipf zur Neupacht aus. Man suchte einen Nachfolger für Rebmeister Köbi Kurz. Möglichst jemanden, der die Ernte selbst keltert und nicht nach Pratteln an Coop liefert. Jost bewarb sich zusammen mit seinem Mentor Hans-Peter Ziereisen, in dessen Weingut in Efringen-Kirchen er sich die Sporen als Kellermeister abverdiente. Die Gemeinde gab den beiden überraschend den Zuschlag. »Ich alleine hätte die Pacht mit meiner Jugend wohl nicht erhalten. Hans-Peter als Deutscher auch nicht. Unsere praxiserprobte Partnerschaft gab den Ausschlag«, sagt Jost, »und wohl auch der Umstand, dass wir in der alten Mosterei im Zentrum von Riehen Kelterräumlichkeiten besaßen.«

»Früher dachte man bei Wein nicht an Basel. Jetzt können wir auch mit der Bündner Herrschaft mithalten.« Urs Jauslin, Weingut Jauslin

Im Herbst 2013 vinifizierte Jost bereits den ersten Jahrgang und ging gleich auf tutti. Pinot Noir wie Sauvignon Blanc wurden spontanvergoren. Der Rote blieb wochenlang auf der Maische. Beide Weine durchliefen den Ausbau im Holzfass aus Spessarteiche, der Rote ganze 24 Monate. Abgefüllt wurde ungeschönt und unfiltriert. Eine Selektion des Pinot Noir kam Ende letzten Jahres auf den Markt. Sein Name: »Le Grand«, sein Preis: frivole 69 Schweizer Franken (63,39 Euro). Der Riehener Schlipf fällt steil zum Fluss Wiese hinunter. Er liegt als trockene und heiße Südlage am Tüllinger Hügel, eingeklemmt zwischen dem Lörracher und Weiler Schlipf. Der Crischona Hügel verdeckt den Blick auf die Alpen. Rechter Hand liegt die Stadt Basel mit ihrem neuen Wahrzeichen, dem Roche-Tower, einem Turm wie ein Riesengebirge von aufeinandergeschichteten, zur Spitze sich verkleinernden Pizzaschachteln. Jost hat noch einen Pfeil im Köcher: 2014 pfropfte er Chardonnay auf alte Merlot-Stöcke. Der erste Jahrgang 2015 liegt noch in den Barriques. Eine Fassprobe verheißt Großes. Auf der vierten Etappe folgen wir dem Tüllinger Hügel westwärts über die Landesgrenze nach Weil. Der Boden bleibt homogen: »schlipfiger«, toniger Oberboden auf Kalkstein – ideal für die Rebsorten der Burgunder-Familie und Gutedel. Exakt diese Sorten baut Claus Schneider auf 10,5 Hektar Rebland in Weil, Haltingen und Oettlingen an. Seit 1982 liefert er die Ernte nicht mehr an die lokale Genossenschaft. Der zurückhaltende Mann, der ursprünglich Apotheker werden wollte, erzeugt leise, aber sehr gradlinige, präzise, mineralisch grundierte Gewächse. Es sind keine Blender, sondern unauffällige, integre, vertrauenerweckende Essweine. Seit Kurzem steht ihm und seiner Frau Susanne Sohn Johannes zur Seite, der in Zürich Chemie studierte. Wie er einen durch die Rebberge fährt und sachkundige Erklärungen abgibt, ahnt man, dass da ein Feuer glimmt, das Anlass zu schönsten Hoffnungen gibt.

Die Heimat im Glas

Zum Schluss landen wir in Efringen-Kirchen bei Hans-Peter und Edeltraud Ziereisen. Hans-Peter Ziereisen – Schreiner, Winzer, Spargelbauer – ist ein Phänomen, ein Tausendsassa, leutselig und bodenständig, von schier unerschöpflicher Energie und Fantasie. Wie immer geht es zunächst in den Ölberg, wo Ziereisen den Großteil seiner Reben hat. Schnelle Wolken treiben am Himmel, im Elsass graupelt es, die Alpen sind wie durch einen Schleier zu sehen. Zu unseren Füßen liegt das Rheinbecken mit seiner industriellen Wucherung, nahe am Hügel der neue Keller, der als hundert Meter langer Tunnel in den Boden getrieben wurde und nun die 700 Fässer jeder Größe birgt, in denen Ziereisen alle seine Weine geduldig auf der Hefe reifen lässt. Wurde bei einem früheren Besuch über Pinot Noir diskutiert, den Ziereisen wie ein Magier zu deklinieren weiss, geht es nun um den Gutedel. »Gutedel ist Heimat«, sagt er. »Der meistunterschätzte Wein unserer Gegend.« Ihn will er »wieder salonfähig machen«. Starke Ertragsreduktion, Maischestandzeit vor der Vergärung, Spontangärung, langes Hefelager, Ausbau in kleinen und grossen Fässern sowie unfiltrierte Abfüllung heissen die Ingredienzen, aus denen Ziereisens beste Gutedel bestehen. Der außergewöhnlichste stammt aus alten Reben und heißt »Zehnhochvier«. Er besitzt eine Spannung, eine Länge, eine geradezu vibrie­rende Mineralität wie ein weißer Burgunder von Coche-Dury. Spektakulärer könnte die Schlussetappe nicht enden.

 

 

Über den Autor

Martin Kilchmann, Wein-Chefredakteur Schweiz, schreibt in Reportagen und Büchern seit dreissig Jahren über Winzer und Weine. Guter Wein muss für ihn die Geschichte seiner Herkunft erzählen. Am liebsten trinkt er zu einem feinen Essen mit Familie und Freunden Champagner, Burgunder, Riesling und die grossen Italiener. Nicht zu vergessen natürlich die herausragenden Gewächse der Schweiz.