Aktuelles

Weinbauforschung in Wädenswil – Erbe verpflichtet

  • Donnerstag 31 August 2017
Quelle /
Lukas Bertschinger und Martin Wiederkehr
Das Weinbauzentrum Wädenswil soll ab 2018 für den Deutschschweizer Weinbau unter einem unternehmerisch selbstständigen Dach praxisnahe Forschungs- und Entwicklungslösungen, fachliche Beratung, Grundlagen für die Aus- und Weiterbildung und weinbauliche Dienst- leistungen bereitstellen und das Kulturgut Weinbau pflegen. Der Ruf der Branche nach einem solchen Zentrum wurde laut, weil das Leistungsangebot im Zuge von Sparprogrammen dahinschmolz. Ein autonomes Kompetenzzentrum scheint möglich! 

Im Juni 2015 verkündete die Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau (SZOW) optimistisch «Weinbau- zentrumsidee bekommt Schwung». Zwei Jahre später heisst es bereits «Weinbauzentrum Wädenswil auf der Zielgeraden» und die Zürichsee-Zeitung titelte: «Wädenswil bekommt ein Weinbauzentrum». 

Wie kam das? Am 7. Mai 2015 hatten sich auf Einla- dung des Amts für Landschaft und Natur (ALN) des Kantons Zürich Vertreter von Agroscope, des Branchen- verbands Deutschschweizer Wein (BDW), des Strick- hofs und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammengesetzt. Es musste etwas geschehen: Wädenswil, einst Weinbau-For- schungs- und Ausbildungszentrum mit internationaler Ausstrahlung, war nach jahrelangen Sparauflagen und Reorganisationen ausgeblutet. Die Forschung für einen standortgerechten Weinbau in der Deutsch- schweiz stand vor dem Aus, mit Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung und den Wissenstransfer!

Weinbau in der Schweiz: volkswirtschaftliche Bedeutung

Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus in der Schweiz ist gross. Auf nur 1.4% der landwirtschaft- lichen Nutzfläche erzeugt der Rebbau einen Brutto- Endrohertrag um 8% − auf kleiner Fläche wird damit eine hohe Wertschöpfung generiert. Dieser Anteil der Traubenproduktion scheint gering im Vergleich mit der Wertschöpfung beim Wein. Man schätzt, dass die einheimische Weinproduktion einen Wert von ca. 2 bis 2.5 Mrd. Schweizer Franken darstellt. Auf die Deutsch- schweiz entfallen davon ca. 400 Mio. Franken.

Weinbau als langfristige Kultur

Mit diesen Zahlen gehört der Weinbau zu den land- wirtschaftlichen Eckpfeilern ländlicher Gebiete. In einwohnerschwächeren Kantonen wie Graubünden oder Schaffhausen ist er zur systemrelevanten Anbau- kultur geworden. Ein Winzer, der einen Rebberg be- pflanzt, unterschreibt de facto einen Generationen- vertrag zur Bewirtschaftung und langfristigen Siche- rung von Arbeitsplätzen sowie zur Entwicklung eines KMU im nicht urbanen Raum.

Lokale Verankerung –globale Ausstrahlung

In den letzten 128 Jahren sind wichtige Forschungs- und Ausbildungs-Impulse für den (Deutschschweizer) Weinbau von Wädenswil ausgegangen (Wetli 2015). Prof. Hermann Müller-Thurgau, 1891 zum ersten Direktor der eben gegründeten Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil berufen, setzte mit der Rebsorte Müller-Thurgau (s. Abb. S. 7) einen Grundstein für die weltweite Anerkennung der Wädenswiler Weinbauforschung. Müller-Thurgau ist heute noch die erfolgreichste gezüchtete Rebsorte. Weitere bahnbrechende Schritte für den modernen Weinbau folgten. In der Tabelle wird anhand repräsen- tativer Publikationen gezeigt, wie Wissenschaft und Praxis zusammenspielten. Neben der Forschung wur- den in Wädenswil immer auch Aus- und Weiterbil- dung in Obst- und Weinbau betrieben.

Neues Leben soll erblühen

In den letzten 20 Jahren wurden die Wädenswiler Weinbauinstitutionen von Sparprogrammen erschüt- tert. Die 2005 erfolgte Streichung des Studiengangs Önologie in Wädenswil und Konzentration in der Westschweiz und die schrittweise Reduktion der weinbaulichen Forschung/Extension von Agroscope wurde für die Branche zum Problem. Der praxisrele- vante Wissensverlust vor Ort konnte trotz grosser Anstrengungen nicht im erwarteten Mass von den Westschweizer Zentren aufgefangen werden. Zu unterschiedlich sind Sortiment, Anbaubedingungen und Betriebsstrukturen. Die berufliche Weinbau-Ausbil- dung übernahm der Strickhof. Seit 2015 besteht dort auch die Möglichkeit, einer auf das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis aufbauenden Ausbildung zum Weinbautechniker HF. Die ersten Absolventen schlos- sen im Sommer 2017 ab. Dies ist der Initiative des BDW unter Ägide von Präsident Kaspar Wetli zu ver- danken. Das Alumni Netzwerk Wädenswil organisiert mit der ZHAW (Peter Schumacher) jeweils im Januar die erfolgreichen Wädenswiler Weintage mit rund 200 Teilnehmenden. Die dennoch verbleibende Lücke in Forschung, Wissenstransfer und weinbaulichen Dienstleistungen für die Deutschschweizer Branche und Weinbauinteressierte soll nun ein selbstständiges Weinbauzentrum Wädenswil (WBZW) schliessen.

Vereinsgründung und Zentrumsplanung

Die Forschungs- und Bildungsstadt Wädenswil bietet ein ideales Umfeld zur Zusammenführung von For- schung, Entwicklung, Beratung und Ausbildung. Agroscope, Strickhof, BDW und ZHAW sind hier ver- treten, aber auch eine Gastrofachschule und für die Pflege des weinbaulichen Kulturguts das Weinbau- museum (www.weinbaumuseum.ch) und der Verein Publikationen Spezialkulturen (VPS) mit der SZOW (Hilber 2014).
Angesicht des Mankos an standortgerechter For- schung und praxisrelevantem Wissenstransfer wurde am 1. Oktober 2015 der Verein «Weinbauzentrum Wädenswil» zur Förderung des Deutschschweizer Weinbaus gegründet. Die Idee, ein selbstständiges Weinbauzentrum aufzubauen, bestand schon meh- rere Jahre. Mit der Vereinsgründung wurde nun die konkrete Planung für ein WBZW angestossen.
Kompetenzen, die bisher bei verschiedenen Insti- tutionen angesiedelt werden, sollen zusammenge- führt und unter einem Dach angeboten werden. Dieser einmalige, neue Ansatz wird bisher nicht mögliche Synergien ermöglichen.
Nach ersten Fortschritten wurden diese Aufbau- arbeiten zeitweilig durch organisatorisch-rechtliche Hürden erschwert. Ende 2016 übernahm der BDW die geleisteten Vorarbeiten des Vereins und die Führung. In der Phase ab April 2017 wurde die Planung konse- quent vorangetrieben, um den Fahrplan den BDW- Delegierten am 5. September vorzulegen. Der Vorstand des BDW mit den kantonalen Branchenvertretern hat dieses Vorgehen am 5. Juli einstimmig gutgeheissen. 2018 soll das Zentrum den Betrieb aufnehmen.

«Smarter» Wein

Um nachhaltig zu sein, muss das WBZW einerseits Lösungen für dringende Praxisprobleme entwickeln, aber ebenso den Blick in die Zukunft offenhalten.
Fachleute sind sich einig, dass das «Internet of Things» (IoT) im Weinbau zunehmend eine Rolle spielen wird, die weit über die bisherige Nutzung in derSchädlings-undKrankheitsprognosehinausreicht (www.agrometeo.ch).

Dass «Weinbau und Digitalisierung gut zusammen- passen», veranschaulicht ein Beitrag der Deutschen Telekom über die Hochschule Geisenheim (2017). An- dere erwarten «smarten» Wein von Sensoren und Cloud-Diensten (Computerwoche 2017). An der Mosel hofft man auf die Entwicklung neuer Marktstrategien und den Einsatz digitaler Abläufe im Weinbau und bei der Winzer-Ausbildung (Ministerium Rheinland Pfalz 2016). Das IoT dürfte aber bis in den Keller reichen. Sensoren- und Mikrotechnik bieten sich an für Tem- peraturführung und Steuerung der Vorgänge im Fass. Die Zeit ist reif für eine gesamtbetriebliche Betrach- tung digitaler Technologien. Derartige Ideen sind auch in Wädenswil vorhanden.

Pflanzenschutz und sichere Lebensmittel

Chemische Pflanzenschutzmittel (PSM) wurden ur- sprünglich als Segen für die Produktionssicherheit betrachtet. Ihre Verwendung führte aber zunehmend zu Problemen. Man ist sich heute einig: Das Risiko für Mensch und Umwelt muss weiter reduziert werden. Optimal wäre der Verzicht auf chemisch synthetische Mittel. Das ist aber bei hohem Krankheits- und Schäd- lingsdruck wirtschaftlich nicht realistisch. Es sind neue Ansätze gefragt, um mit natureigenen Methoden (wie der Nutzung des natürlichen Mikrobioms) und neuen Rebenzüchtungen zu reüssieren. Solange das nicht möglich ist, muss ein «smarter», vernünftiger und praktikabler Umgang mit PSM angestrebt werden.

Erbe erhalten – Perspektiven schaffen

Das WBZW soll das weinbauliche Erbe Wädenswils erhalten und neue Perspektiven für den Deutsch- schweizer Weinbau entwickeln. Seit April 2017 leitet Martin Wiederkehr die Aufbauarbeiten mit einem Betriebsteam von Agroscope und BDW. Sein Stell- vertreter ist Christian Maurer. Mit ausgewiesener Kompetenz in Management und Leadership, Strate- gieentwicklung und Marketing sowie profunden Weinbaukenntnissen schärften die beiden die Strate- gie. Die Ziele der Geschäftsfelder Rebbau und Önolo- gie, Labor und Analytik, Beratung und Wissenstrans- fer sind definiert und ökonomisch konsolidiert.

Die Bedürfnisse der Konsumenten und Branchen- kunden sollen am WBZW spezielle Aufmerksamkeit erfahren. Angewandte Forschung im Weinbau be- deutet heute auch, dass man den Markt kennt, wenn Winzern und Verarbeitern Unterstützung angeboten werden soll.

So soll es weitergehen

Die BDW-Delegiertenversammlung wird am 5. Sep- tember 2017 über eine Trägerschaft für das WBZW be- finden. Bei positiver Stellungnahme soll das neue Zentrum Anfang 2018 den Betrieb aufnehmen. Es sind noch nicht alle Probleme gelöst, aber die Zeit für ein unternehmerisch selbsttragendes Weinbauzent- rum Wädenswil ist reif. Das Projekt verdient Vertrauen und eine echte Chance – der Deutschschweizer Wein-
bau auch!

 

Kontakt

Lukas Bertschinger, Verein Weinbauzentrum Wädenswil, und Martin Wiederkehr, Zürich [email protected]