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Vielfalt in unserem Glas

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Serge Hediger

In der Schweiz werden mehr als 25o Rebsorten angebaut. 8o davon können als einheimisch bezeichnet werden - vermutlich ein Weltrekord! Welche Geschichte steckt hinter diesem Reichtum an eigenen Trauben und eigenständigen Weinen?

Räuschling. Was für ein schöner Name für einen Wein! Er klingt nach lauen Sommerabenden, nach anregenden Gesprächen auf der Terrasse und ja nach einem leichten Schwips. Tatsächlich ist der Räuschling eine uralte, ursprünglich schweizerische Rebsorte. Sie stammt zwar aus dem deutschen Rheintal, hat aber nur bei uns überlebt, wo sie 1759 erstmals schriftlich erwähnt wurde. Räuschling wird einzig im Nordosten der Schweiz angebaut, vor allem im Kanton Zürich, und ergibt leichte Weissweine mit Geschmacksnoten von Zitrusfrüchten. Der Name könnte vom Rauschen stammen, dem Geräusch des Windes, der durch dichtes Laub weht.

Trauben, eine Wissenschaft

Wer sich für solche Geschichten rund um die typischen Weine unseres Landes, ihre Herkunft, Abstammung und Verwandtschaft interessiert, der wird im eben erschienenen Buch «Schweizer Rebsorten» von José Vouillamoz fündig. Der Walliser Biologe ist einer der weltweit führenden Weingenetiker und -kenner. Und ein Wissenschaftler, der es mit den Zahlen ganz genau nimmt: «In der Schweiz werden mindestens 252 Rebsorten au14 793 Hektaren kultiviert. 168 davon sind unter den kontrollierten Ursprungsbezeichnungen (AOC) zugelassen, das sind 12 bis 85 Rebsorten pro Kanton. Diese Vielfalt ist enorm und könnte einen Weltrekord darstellen», schreibt Vouillamoz in der Einleitung seines neuen Standardwerks. Mittels umfangreicher botanischer Untersuchungen, DNA- sowie sogenannten Vaterschaftstests hat der Weingenetiker Nachforschungen unter unseren Rebsorten angestellt und ist den Volkslegenden um die Trauben nachgegangen.

Legenden und Tatsachen

Unsere ältesten Traubensorten: Im Jahr 1313 wurden Räze und Humagne erstmals schriftlich erwähnt, 1321 der Completer. Unsere seltensten Traubensorten: 1989 hat ein Weinbauer in einem Tessiner Weinberg zwei alte Rebstöcke entdeckt, die sich als die extrem seltene Bondoletta herausstellte. Sie wird seither allein in San Martino TI angebaut. Selten sind auch der Walliser Eyholzer Roter oder der Luzerner Hitzkircher. Unsere häufigste Traubensorte: Chasselas (Bild) ist die in der Westschweiz vorherrschende weisse Rebsorte. Sie ist unter zahlreichen Synonymen bekannt: Wurden die Dessertwein-Traube Amigne oder die Arvine, aus der Weine von internationalem Ruf gekeltert werden, wirklich von den Römern ins Wallis eingeführt? Nein, dafür gibt es keine Grundlage. Waren es Benediktinermönche, die die alte Sorte Completer aus Italien nach Graubünden gebracht haben? Ja, das Kloster Pfäfers SG verfügte sowohl in Italien wie in Malans GR über Weinberge. Beim sogenannten Komplet, dem abendlichen Gebet, war es Benediktinern traditionellerweise erlaubt, ein Glas Wein zu trinken - schweigend! Stammt der Chasselas, die typische Westschweizer Rebsorte, wirklich aus Ägypten oder Konstantinopel, dem heutigen Istanbul? Nein, ihr Ursprung liegt im Dreiländergrenzgebiet von Frankreich, Italien und der Schweiz. Und wer bislang geglaubt hat, dass die meisten Sorten aus dem Wallis kommen, wird durch Vouillamoz wiederum eines Besseren belehrt: Die grösste Vielfalt an Rebsorten bietet nämlich der Kanton Zürich (85 Sorten), gefolgt von der Waadt (66) sowie Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn (62). Im Wallis dagegen sind es nur 57 Sorten - doch es bleibt die Weinbauregion der Schweiz.