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Fête des Vignerons 2019 - «Mit Gigantismus hat das nichts zu tun»

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Antonio Fumagalli

François Margot ist Präsident der Bruderschaft, welche die Fête des Vignerons organisiert. Im Interview erklärt er, warum die Schauspiel-Tickets bis zu 360 Franken kosten – und warum der Anlass kein Weinfest für ein paar Säufer ist.

 

NZZ: Herr Margot, die letzte Fête des Vignerons (FdV) fand vor zwei Jahrzehnten statt. Welche persönliche Erinnerung hat die Zeit überdauert?

FM: Ich war damals im Verwaltungsrat der Winzerbruderschaft, aber die stärksten Emotionen verbinde ich mit meiner Rolle als Statist beim Schauspiel. Die Premiere werde ich immer in Erinnerung behalten – nicht nur wegen der Aufregung vor der Aufführung, sondern auch wegen des Wetters. Wenige Kilometer entfernt regnete es in Strömen, und wir blieben trocken. Der Wein- und Wettergott war mit uns.

Mit dem Fest von 1999 wurde die Messlatte hoch angesetzt. Kann es noch besser werden?

Die Frage ist falsch gestellt. Es geht uns nicht um einen Wettbewerb, sondern darum, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Diese haben sich innerhalb einer Generation enorm verändert, denken Sie nur schon an die technischen Errungenschaften. Die akustischen und visuellen Elemente von damals würden dem anspruchsvolleren Publikum von heute längst nicht mehr genügen. Bei jedem Eishockeyspiel gibt es mittlerweile Videoleinwände mit hoher Auflösung, da können wir das Rad der Zeit nicht zurückdrehen.

Die FdV wird auch deshalb geschätzt, weil sie eben Traditionen aufrechterhält – die diesjährige Ausgabe ist aber so gross und so teuer wie noch nie. Warum machen Sie bei diesem Rennen um immer mehr Gigantismus mit?

Die Fête ist immer schon gewachsen, aber stets mit Mass. Unsere Arena ist nicht viel grösser als 1999. Und die moderne Technologie ist kein Selbstzweck, sie fügt sich als zusätzliches Element in die Dramaturgie des Schauspiels ein. Mit Gigantismus hat das nichts zu tun.

Bei Ticketpreisen zwischen 80 und 360 Franken pro Sitzplatz ist die Schmerzgrenze nun aber gerade für Familien erreicht, wie sich auch am anfänglich schleppenden Verkauf zeigt.

Vergessen wir nicht, dass sich ein Grossteil der Plätze in den tieferen Preisklassen befindet. Aber eben: Die Ansprüche des Publikums sind gewachsen. Und auch für die Sicherheit sind heute andere Mittel nötig als früher. Das alles hat seinen Preis. Die Winzerbruderschaft macht mit dem Fest keinesfalls den grossen Reibach. Wir sind schon froh, wenn wir über die Runden kommen.

Müssen sich die Besucher – in Zeiten des internationalen Terrorismus – also auf Polizisten mit Maschinengewehren einstellen?

Auch in dieser Hinsicht hat sich die Welt alleine in den letzten zwanzig Jahren komplett verändert. Wir sind in engem Kontakt mit den Behörden des Kantons Waadt, die für die Sicherheit zuständig sind. Das Dispositiv wird nicht aufdringlich sein, um den Festcharakter nicht zu trüben.

Die diesjährige Ausgabe soll weiblicher sein als die früheren – aber die Welt der Winzer und Rebbauern bleibt eine klare Männerdomäne. Warum?

Es gibt mittlerweile einige Winzerinnen. Aber es stimmt, die Branche ist männlich geprägt. Das hat auch mit der Arbeit im Rebberg zu tun, die körperlich sehr anstrengend ist und teilweise viel Kraft verlangt. Männer haben da Vorteile. Die Dinge ändern sich aber, wir stellen zum Beispiel ein vermehrtes Interesse von Frauen auf Stufe Ausbildung fest.

Zum ersten Mal hat gar eine Frau den höchsten Winzerpreis erhalten – aber es gab nur drei nominierte Frau, die 79 Männern gegenüberstanden. Hand aufs Herz: Sind diese nicht einfach ein Feigenblatt für eine gesellschaftliche Entwicklung, die man verschlafen hat?

Wenn wir die Geschichte anschauen, gab es immer schon Frauen, die in den Rebbergen wichtige Funktionen einnahmen. Aus dem Aosta-Tal kamen früher jeweils Dutzende Arbeiterinnen, um bei der Entlaubung der Rebstöcke zu helfen. Relativ neu ist, dass Frauen in den Betrieben auch Chef-Rollen einnehmen. Wir befinden uns nun in einer Übergangszeit, nächstes Mal werden es mehr sein. Nur für die Galerie nehmen die diesjährigen Teilnehmerinnen jedenfalls ganz sicher nicht teil.

Die Stadt Vevey hat jüngst vor allem mit Negativschlagzeilen zu reden gegeben, mehr als die Hälfte der Regierungsmitglieder ist suspendiert. Inwiefern wurde davon die Organisation der FdV beeinflusst?

Das hat uns nur marginal betroffen. Bei den Verhandlungen mit der Stadt wären wir manchmal froh gewesen, wenn Entscheidungen schneller getroffen worden wären. Vielleicht hatte das auch mit den internen Turbulenzen zu tun. Aber damit konnten wir leben. Möglicherweise hat das Image von Vevey gelitten, was wir als Winzerbruderschaft nicht so direkt spüren.

Was war Ihre grösste Sorge im Vorfeld der Eröffnung?

Dass das Schauspiel reibungslos funktioniert und beim Publikum, aber auch bei den Tausenden von Darstellern über die ganze Dauer der Veranstaltung Anklang findet. Ich bin zuversichtlich.

Als künstlerischen Direktor haben Sie den international renommierten Regisseur Daniele Finzi Pasca engagiert. Hatte er eine Carte blanche?

Als Winzerbruderschaft sind wir quasi Co-Autoren des Schauspiels – aber immer in enger, respektvoller Zusammenarbeit mit ihm. Es ging nicht um Zensur, sondern um Ideen, die mit der täglichen Arbeit im Rebberg zu tun haben. Das gab eine Grundlage für die kreative Umsetzung des Themas.

Würde man in der Deutschschweiz eine Strassenumfrage machen, würden nicht allzu viele Leute die Fête des Vignerons kennen. Warum bleibt der Anlass so westschweizerisch?

Zwischen der West- und der Deutschschweiz wird es immer kulturelle Unterschiede geben. Die diesjährige Ausgabe der FdV ist aber so national wie noch nie. Nicht nur sind zum ersten Mal sämtliche Kantone vertreten, auch haben wir rund einen Drittel der Tickets in die Deutschschweiz verkauft – das ist viel und deutlich mehr als letztes Mal. Vielleicht lassen sich einige täuschen und haben das Gefühl, die Fête sei ein Weinfest für ein paar Säufer. Dabei zelebrieren wir die Kunst des Rebbaus und ganz allgemein unsere Kultur.

Ein Fest also mit tieferer Bedeutung?

Unser Anspruch ist, die Menschen wieder näher zusammenzubringen und auch der Region, dem Kanton und der ganzen Schweiz etwas Selbstvertrauen einzuhauchen. Vielleicht schaffen wir es, unsere Emotionen, unsere Freude, unsere Überzeugungen künftig etwas offener auszudrücken. Wir sollten mehr aufs Herz als auf den Verstand hören. Solch ein Fest kann dafür ein guter Anfang sein.