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Drehverschluss statt Korkzapfen - die Vorurteile bröckeln

  • Sonntag 30 September 2018
Quelle /
Hugo Berchtold
Ein Topwein mit Drehverschluss? Für viele ein Tabu. Doch allmählich bröckeln die Vorurteile, denn oft, zu oft, wird der Weingenuss durch einen fehlerhaften Korken getrübt.

«Der Wein hat ‹Zapfen›»: Das vernichtende Urteil wird zwar von selbst ernannten Weinexperten weit häufiger genannt, als es tatsächlich der Fall ist.

Fakt aber ist, dass sich aufgrund von Trichloranisol (siehe Kasten) ein unangenehmer Muffton entwickeln kann: «Ich schätze, dass 1 bis 2 Prozent aller Flaschen einen ausgeprägten Zapfengeschmack aufweisen, den jeder Laie wahrnehmen kann», sagt Ivan Barbic, Master of Wine und Einkäufer für Bataillard, einem dem grössten Weinhändler der Schweiz. Überdies beeinflussen Naturkorken bei 8 bis 10 Prozent aller damit verschlossenen Flaschen den Geschmack des Weines, teils mässig, teils so minim, dass selbst Experten Mühe haben, das herauszuriechen.

Das Naturprodukt Korken ist anfällig für Fehler

An sich wäre der Korkzapfen ein idealer Flaschenverschluss: Er gilt als geruchs- und geschmacksneutral, ist langlebig, auch wenn er mit der Zeit an Elastizität verliert und schrumpft. Er ist recycelbar und widerstandsfähig gegen Bakterien sowie Keime – vorausgesetzt, man hat bei der Produktion sorgfältig gearbeitet. Da war vor allem in den 1990er-Jahren immer weniger der Fall. Während Jahren galt Quantität vor Qualität.

Inzwischen haben viele Produzenten von Naturkorken begonnen, das verhängnisvolle TCA (siehe Kasten) mit technischen Innovationen zu bekämpfen. Doch der Korken ist und bleibt ein Naturprodukt, das anfällig für Fehler ist.

Westschweizer Winzer sind Dreh-Pioniere

Angesichts der oft teuren Ausfälle haben die Weinproduzenten Ausschau nach Alternativen gehalten. Am vielversprechendsten schneidet dabei der Drehverschluss ab: Seit den 1970er-Jahren wurde er vor allem für jung zu trinkende (Weiss-)Weine verwendet. Westschweizer Winzer spielten dabei eine Pionierrolle. Der Verschluss erwies sich, nach einigen technischen Verbesserungen, als valable, günstige ­Alternative. Gross eingestiegen sind dann die Produzenten der Neuen Welt, vor allem in Australien, Neuseeland und USA. Inzwischen werden in den ersten beiden Ländern fast alle Weine, auch die teuren roten Spitzentropfen, mit einem Dreh­verschluss versehen. Auch in Deutschland und Österreich gewinnt der Drehverschluss immer mehr Anhänger.

Teure Ausfälle wegen «Zapfen» gehören der Vergangenheit an

Nach Schätzungen werden heute weltweit rund ein Drittel der Flaschen mit Drehverschluss verschlossen. Denn die nun langjährige Erfahrung hat gezeigt, dass ein hochwertiger Schraubverschluss so gute Dienste wie der Naturkorken leistet, wenn nicht bessere. Und vor allem: Oft teure Ausfälle wegen «Zapfen» gibt es praktisch keine mehr.

Trotz der Erfolge, der Drehverschluss hat auch seine Gegner. Die einen kritisieren, er sei zu dicht und lasse zu wenig Sauerstoff eindringen, um dem Wein eine harmonische Reifung zu ­ermöglichen. Befürworter des Drehverschlusses sehen jedoch gerade darin einen Vorteil: Einerseits sei der viel gerühmte Sauerstoffaustauch durch Zapfen, die mit Wachs behandelt werde, auch sehr gering. Bei Naturkorken verläuft der Sauerstoffaustausch und somit die Entwicklung des Weins unterschiedlich.

Flaggschiff Pinot Noir «B» mit Drehverschluss

Bei einem Drehverschluss ­altert der Wein langsamer, aber einheitlicher. Der im Wein und in der Flasche vorhandene Sauerstoff genügt, damit der Wein sich entwickeln kann.

Diese Vorteile des Drehverschlusses haben zum Beispiel auch den Winzer Toni Ottiger in Kastanienbaum am Vierwaldstättersee überzeugt: «Nachdem wir in den letzten Jahren gute ­Erfahrungen mit dem Drehverschluss gemacht haben, haben wir nun auch unser Flaggschiff, Pinot noir ‹B›, Jahrgang 2016, mit einem Drehverschluss auf den Markt gebracht», erklärt Ottiger.

Gastgewerbe ist schwer zu überzeugen

Dies, obwohl in der Schweiz bei Spitzenweinen der Drehverschluss noch einen schweren Stand hat. «Ihm haftet noch immer das Image des Billigweins an, zu Unrecht», bedauert Ottiger. Im Gespräch liessen sich die Privatkunden von den Vorteilen des Drehverschlusses überzeugen. Schwieriger sei es mit dem Gastgewerbe. Beat Lussy vom Viersternhaus Wilden Mann in Luzern erinnert sich:

«Ich habe auch kurz leer geschluckt, als Ottiger ankündigte, der Pinot ‹B› werde künftig mit einem Drehverschluss versehen.»

Denn der Konsum einer teuren Flasche Wein im Restaurant sei mit Ritualen wie dem oft feierlich zelebrierten «Plopp» beim Ziehen des Korkens verbunden.

Für den Gastropublizisten Wolfgang Fassbender ist dieser Kult überholt. Trocken bekennt er:

«Ich kann dem Prozedere, bei dem ein oft übel riechendes Stück Baumrinde aus der Flasche gezogen wird, nichts abgewinnen.»

Dass die Sommeliers durch den Dreh­verschluss überflüssig würden, glaubt er nicht. Eine Feststellung, die auch Marcel Gabriel teilt. Der Fachdozent und Leiter Restauration an der Schweizerischen Hotelfachschule in Luzern ist überzeugt, dass der Sommeliers dem Gast nachhaltigere Mehrwerte bieten kann, wie etwa kompetente Beratung, Informationen über den Wein und das Zusammenspiel mit den Speisen.

«Damit das für den Gast durchaus wichtige Zeremoniell am Tisch nicht zu kurz kommt, schulen wir die Sommeliers auch im Karaffieren, also dem Umfüllen der Flasche in einen edlen Glas- oder Kristallbehälter, um einen Mehrwert zu schaffen. Dieser Kontakt mit Sauerstoff tut den meisten Weinen zudem durchaus gut, selbst gehaltvolle Weisse können davon profitieren», erklärt Gabriel.

So eindrücklich der bisherige Vormarsch des Drehverschlusses ist, der Naturkorken hat aus der damit verbundenen Tradition noch nicht ausgespielt. In den alten Weinländern wie Frankreich, Italien oder Spanien hat der Drehverschluss vor allem für Topwein weiter einen schweren Stand. In einigen Weingebieten ist zudem der Verschluss mit Korken vorgeschrieben, um eine Ursprungsbezeichnung zu erhalten. Und in Spanien und Portugal ist man bestrebt, die traditionelle Produktion der Korkzapfen auf jeden Fall zu erhalten.

Kunststoffkorken und Glas haben Schwächen

Andere Alternativen zum Naturkorken und Drehverschluss konnten sich bisher nicht durchsetzen: Der Glasstöpsel gilt zwar als stilvoll, ist jedoch relativ teuer und aufwendig im Handling. ­Zudem funktioniert er nur mit einem Kunststoff-Dichtungsring, dessen Lebensdauer und Geschmacksneutralität nicht über alle Zweifel erhaben sind. Auch der billig wirkende Kunststoffzapfen ist kein voll­wertiger Ersatz, zumal wenig erforscht ist, welchen Einfluss er auf den Geschmack haben kann und wie er die Alterung beeinflusst. Auch Presskorken konnten sich, ausser bei Schaumweinen, nicht durchsetzen.

So dürfte der Vormarsch des Drehverschlusses kaum aufzuhalten sein. Max Gerstl, Händler exklusiver Weine, fasst sein Plädoyer so zusammen: «Dem Korken bleibt eigentlich nur noch das Argument der Ästhetik. Wenn ich mir einen Château Latour mit Drehverschluss vorstelle, habe ich auch meine Mühe. Anderseits: Wenn ich an den korkigen 61er-Latour denke, wäre der Drehverschluss klar das kleinere Übel gewesen …»

Wein mit «Zapfen» eignet sich auch nicht zum Kochen

Verantwortlich für den unangenehmen, müffelnden Zapfengeruch ist eine Substanz mit dem Namen 2,4,6-Trichloranisol, kurz TCA genannt. Sie entsteht durch das Zusammenspiel von Schimmelpilzen und chlorhaltigen Reinigungs- oder Pilzschutzmitteln, mit denen Korkeichen behandelt wurden. Bakterien produzieren dann das berüchtigte TCA. Der Schimmelpilz, der sich oft im feuchten Weinkeller auf dem ­Zapfen der Weinflache bildet, hat damit allerdings nichts zu tun. 

Beim Probieren einen leichten Korkton zu erkennen, ist nicht ganz einfach: Falls man nicht sicher bist, ob der Wein wirklich «korkt», gibt es einen Trick, der allerdings im Restaurant kaum ­anwendbar ist: Man verdünnt im Weinglas einen Schluck Wein mit der gleichen Menge lauwarmen Wassers. Falls ein Korkgeschmack vorliegt, sticht er nun deutlich hervor. Dies, weil TCA im Gegensatz zu den Fruchtaromen des Weins auch in sehr hoher Verdünnung intensiv riecht. 

Wein mit «Zapfen» ist kaum zu retten. Die Methode, eine Handvoll Klarsichtfolie in den Wein einzutauchen, um damit Kork- und andere Mufftöne zu entfernen, scheint zwar in gewissen Fällen den Fehlton zu mildern. Ob einem das Trinkvergnügen bei einem solchen Prozedere nicht vergeht, ist aber eine andere Frage. 

Wein mit Zapfengeruch sollte man wegschütten, auch wenn es sich um eine teure Flasche handelt. Er eignet sich auch nicht mehr zum Kochen. Der penetrante, unangenehme Geschmack überträgt sich auch auf die Sauce.